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Mordshunger

Titel: Mordshunger
Autoren: Frank Schätzing
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bis die Fingerspitzen das lackierte Holz berührten, um den Kontakt gleich wieder zu verlieren. Mit kaum wahrnehmbarem Rauschen schwang die Türe weiter auf und gab den Blick frei in einen anderen Zustand der Dunkelheit, wie er nur bewohnten Räumen zu eigen ist, ein Schwarz voller Andeutungen, Körperlichkeiten und wechselnder Standorte, eine vertraute, fremde Welt.
    Wieder erstarrte die Gestalt. Sie schien zu überlegen. Ihr Keuchen wurde heftiger.
    Dann setzte sie sich langsam in Bewegung, stieß die Tür ganz auf, drang ein und verlor sich in der Lichtlosigkeit des dahinterliegenden Raumes, als hätte es sie nie gegeben.
    Cüpper
    Fast zu Hause.
    Tausend Gedanken führten in Cüppers Schädel ein chaotisches Dasein, während sich der Magen unbeeindruckt an die Arbeit machte, Säure produzierte, Enzyme freisetzte, Moleküle spaltete, Nährstoffe weiterleitete und den Gurkenrest im Darmsystem diskret beseitigte.
    Wie immer der perfekte Mord.
    Cüppers Kopf versuchte unterdessen, die Frau verschwinden zu lassen, mit der er die letzten sechs Jahre verbracht hatte, was sich als wesentlich schwieriger erwies.
    Ich sollte mich betrinken, dachte er schließlich, weil ihm partout nichts Besseres einfiel. Zählen darf nur der Alkoholgehalt. Kein Genuss! Jeder, der fernsieht oder Bücher liest, weiß, dass verlassene Männer betrunken durch die Straßen irren, was in den seltensten Fällen auf einen Brunello di Montalcino oder einen Mouton Rothschild zurückzuführen ist.
    Aber er wollte sich nicht betrinken.
    Halt die Spielregeln ein, schalt er sich. Die Sache wird dir doch wohl einen ordentlichen Suff wert sein.
    Also gut, betrinken. Die Tankstelle in der Riehler Straße, nah genug, um den Gedanken ernsthaft in Erwägung zu ziehen, bot für wenig Geld einen so sündhaft schlechten Weißen, dass jeder Trennungsschmerz im anschließenden Sodbrennen rückstandslos zersetzt würde.
    Trennungsschmerz? Pah!
    Nein, er hatte Wut, und die verdiente etwas anderes. Beispielsweise könnte man sich in ein Taxi setzen, die Kyffhäuserstraße ansteuern und einen Besuch im La Société abstatten, das über den Vorzug eines respektablen Weinkellers gebot. Es mochte gelingen, dem Patron die eine oder andere Flasche Bordeaux abzuschwatzen. Wozu hatte man Freunde?
    Dann fiel ihm ein, dass er noch einen 89er Pio Cesare im Keller hatte. Aber der würde bis morgen warten müssen. Pio Cesare schmeckte Cüpper am besten zu Geschnäbeltem. Also früh in die Stadt, auf der Apostelnstraße eine Ente kaufen, eine schöne französische Flugente mit Hals und Arsch und Innereien. Dann die ganze Ente ganz alleine fressen, ohne die Frau, um derentwegen er sich fast mit Blanc de Blanc vergiftet hätte.
    Doch nicht Cüpper.
    Bei dem Gedanken an die Ente lief ihm mehr Wasser im Mund zusammen als durch die Haare.
    Eine Ente, ja!
    Und vorher ein Salat. Mit Gurke.
    Bazaar
    Schramm konnte nicht schlafen.
    Am Nachmittag hatte ihn der Fabrikant aus München angerufen und Konkurs vermeldet. Die siebzehn Seidenhemden könne er nun leider nicht mehr liefern. Die zehn Mäntel auch nicht, von den bestellten vierzehn Sakkos immerhin sechs, zwei davon mit kleinen Fehlern, wer sei schon perfekt?
    Schramm hatte sich unter Einhaltung der gängigen Höflichkeitsfloskeln nach seinem Geld erkundigt, als gäbe es auch nur den Hauch einer Chance, es wiederzusehen.
    Das Geld? Ja, das sei weg.
    Wo es denn sei?
    Na, weg. Der Fabrikant war sehr gelassen. Schließlich war er pleite.
    Schramm war in seinem Laden hin- und hergelaufen und hatte sich verflucht. Das war mittlerweile an der Tagesordnung. Er verfluchte sich, wenn er die Preise auf ein Level runtersetzen musste, das Leute in sein Geschäft lockte, die er dort nicht sehen wollte. Er wechselte viermal täglich die Krawatte und verwickelte seine Kunden in Gespräche über den Vormarsch der spanischen Avantgarde, bis er sich selber nicht mehr hören mochte. Er tat verständnisvoll, wenn sich die Leute mit plötzlichem Blick auf die Uhr zum Bäcker empfahlen und versicherten, in zehn Minuten wieder da zu sein und zu kaufen, was sie nicht mal hatten anprobieren wollen. Allmählich wurde sein Gesicht so grau wie sein Haar, das er einmal wöchentlich nachschneiden ließ. Er stellte fest, dass man in Maßanzügen nicht die Schultern hängen lassen sollte, weil das blöde aussieht. Durch die Scheiben seines großen, straßenwärts gewandten Schaufensters studierte er mit eingefrorenem Lächeln die Vorbeieilenden und suchte nach
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