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Mordsfreunde

Titel: Mordsfreunde
Autoren: Nele Neuhaus
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Ampel rechts in Richtung Königstein auf die B455 ab, »ich brauche Sie leider trotzdem. Vielleicht dauert es ja nicht lange.«
     
    Mitten im Wald kurz vor dem Ortseingang von Schneidhain musste Bodenstein das Tempo verlangsamen und schließlichanhalten, denn die Straße war voller Menschen. Zuerst dachte er an einen Unfall, aber dann bemerkte er auf dem Waldparkplatz auf der rechten Straßenseite Dutzende von Autos. Mehrere Leute entrollten Plakate und errichteten Schautafeln. Bodenstein versuchte zu lesen, was darauf stand, und fuhr zusammen, als zwei Mädchen von etwa fünfzehn oder sechzehn Jahren an sein Autofenster klopften und ihm bedeuteten, dasselbe herunterzulassen.
    »Was ist denn hier los?«, fragte Bodenstein.
    »Eine Gemeinschaftsaktion vom BUNTE, der ALK und ULK«, sagte das eine Mädchen, eine langhaarige Brünette mit sorgfältig geschminkten Augen und makellos manikürten Acrylfingernägeln. »Wussten Sie, dass die Trasse der B8-Westumgehung vierspurig genau hier entlang führen soll?«
    Sie wedelte mit einem Flugblatt vor seiner Nase herum.
    Bodenstein beobachtete zwei Frauen, die ein Transparent entrollten. »DIE B8 ZERSTÖRT DIESEN WALD«, las er.
    »Es werden dafür Tausende von Bäumen gefällt«, das zweite Mädchen war blond und trug zum bauchfreien »KEINE B8 «-T-Shirt eine Jeans mit einem Gürtel mit Glitzerschnalle. »Wertvolle Biotope und intakte Wälder werden durchschnitten. Die Lärm- und Schadstoffbelastung für die Menschen in Königstein wird beträchtlich ansteigen.«
    Bodenstein hörte mit einem Ohr zu, was ihm die Mädchen mit missionarischem Eifer erzählten. Er kannte die Argumente der B8-Gegner, hielt sich selbst aber weder für einen Gegner noch für einen Befürworter der geplanten »Taunus-Autobahn«.
    Die Mädchen fuhren fort, ihn mit Zahlen und Fakten zu bombardieren.
    »Ich habe es eilig«, unterbrach Bodenstein sie, »tut mir leid.«
    »Klar, Ihnen ist unser Wald hier total egal!«, rief ihm dieBrünette verächtlich nach. »Hauptsache, Sie können mit Ihrem fetten BMW richtig Gas geben!«
    »Na los, verpesten Sie die Luft ordentlich mit Kohlenmonoxid!«, ergänzte die Blonde. Bodenstein musste grinsen. Zu seiner Zeit waren jugendliche Naturschützer im Bundeswehrparka herumgelaufen, hatten sich Palästinensertücher um den Hals gebunden und mit Absicht tagelang die Haare nicht gewaschen. Die zwei bauchfreien Taunus-Törtchen, wie sein Sohn die Töchter gutsituierter Eltern aus Königstein und Umgebung spöttisch zu nennen pflegte, sahen aus, als hätten sie sich heute Morgen eine Stunde vor dem Spiegel für ihren Einsatz zurechtgemacht. Wahrscheinlich hatte die Mami sie mit ihrem blankpolierten Touareg oder Cayenne hergefahren. So änderten sich die Zeiten.
    Hätte nicht im Opel-Zoo eine Hand auf ihn gewartet, so hätte er sich die Zeit genommen und den Gören erklärt, dass ihm die Zerstörung der Wälder keineswegs gleichgültig war. Kaum jemand kannte die Gegend besser als er, schließlich war er auf dem historischen Hofgut, das im Tal zwischen Ruppertshain, Fischbach und Schneidhain lag, aufgewachsen. Nachdem er selbst ein Jurastudium und später eine Karriere bei der Kriminalpolizei vorgezogen hatte, war es nun sein jüngerer Bruder Quentin, der die Familientradition fortsetzte und aus dem jahrhundertealten Gutshof ein beliebtes Ausflugsziel gemacht hatte. Und Quentin war von den wieder aktuellen Ausbauplänen der B8 nicht besonders angetan, sollte die neue Straße doch keine hundert Meter an Hofgut Bodenstein vorbeiführen.
    Drei Minuten später hatte Bodenstein den Königsteiner Kreisel erreicht. Die großangelegten Umbauarbeiten waren für die Zeit der Fußball-Weltmeisterschaft ausgesetzt worden. An den Fahnenstangen rings um den Springbrunnen flatterten brasilianische Flaggen. Das ganze Städtchen Königsteinwar vor Freude außer sich gewesen, als sich die Nachricht verbreitet hatte, dass ausgerechnet die Weltstars der brasilianischen Fußball-Nationalmannschaft im Hotel Kempinski in Falkenstein Quartier beziehen würden. Jetzt war in ganz Königstein die Enttäuschung groß, weil sich keiner der südamerikanischen Fußballgötter irgendwo blicken ließ.
     
    Dr. Christoph Sander, der Direktor des Opel-Zoos, war ungefähr Mitte vierzig, mittelgroß, kräftig, aber nicht dick. Sein Händedruck war fest, sein Blick direkt. In seinen dunklen Augen lag ein Ausdruck der Besorgnis.
    »Ich hoffe, ich irre mich«, er deutete auf einen der Grashaufen in der Nähe,
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