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Mordrausch

Mordrausch

Titel: Mordrausch
Autoren: John Sandford
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orientieren, nichts schien zu funktionieren. Die ganze Zeit über vor Schmerz stöhnend, zupfte er erfolglos an dem Band über seinen Augen.
    Ihm wurde übel. Er wusste nicht, was los war. Sein Herz raste; er gab sich Mühe, sich zu beruhigen. Er litt unter Herz-Kreislauf-Beschwerden; dass sie sich jetzt zuspitzten, fehlte ihm gerade noch. Er begann zu schwitzen, irgendetwas war nicht in Ordnung, schlimmer, als man nach ein paar Tritten gegen den Körper erwartet hätte. Er hatte starke Schmerzen.
    Da rüttelte jemand an der Tür, und er begann zu rufen. Als er eine Antwort bekam, rief er noch einmal. Auch Dorothy versuchte, durch das Klebeband hindurch zu schreien. Kurz darauf wurde erneut an der Tür gerüttelt, und er hörte, wie sie sich öffnete und Leute hereinkamen.
    Er verlor kurz das Bewusstsein, wurde wieder wach, merkte, dass er auf einer Tragbahre lag und einen Flur entlangbewegt wurde. Jemand beugte sich zu ihm herab und erklärte: »Wir bringen Sie in die Notaufnahme.«
    So laut er konnte, sagte er, bevor er erneut das Bewusstsein verlor: »Ich hab ihn gekratzt. Sagen Sie der Polizei, dass ich ihn gekratzt habe …«
    Der Operationssaal war für die Trennung der Zwillinge umstrukturiert worden. Maret hatte alles Überflüssige entfernen, mehr Licht installieren und den eigens angefertigten Tisch hereinbringen lassen. Dieser Tisch war in Deutschland hergestellt und mit speziellen Matten ausgestattet, die sich der Form der Kinder anpassten, wenn ihre Körper hin und her bewegt wurden.
    Sara und Ellen Raynes waren vertikal am Kopf zusammengewachsen, so dass sie einander nie sehen konnten. Von Regan und ihren Kollegen durchgeführte bildgebende Verfahren hatten gezeigt, dass ihre Gehirne getrennt, sie jedoch über die Dura mater, die harte Hirnhaut, eine gefäßführende Schicht, die den Abfluss von Blut aus dem Gehirn ermöglicht, verbunden waren.
    Beim über das arterielle System zum Gehirn strömenden Blut beider Babys gab es keine Probleme; wenn es jedoch nicht ab- und wieder in den Kreislauf zurückfließen konnte, erhöhte sich der Druck auf die Gehirne, was am Ende zum Tod führte.
    Sara und Ellen waren achtzehn Monate alt. Ihre Eltern Lucy und Larry Raynes hatten bereits vor der Geburt gewusst, dass die Zwillinge zusammengewachsen waren. Man hatte ihnen eine Abtreibung vorgeschlagen, aber sie hatten sich aus religiösen und emotionalen Gründen dagegen entschieden. Die Kinder waren nach siebeneinhalb Monaten Schwangerschaft durch Kaiserschnitt zur Welt gekommen. Sara litt unter einem angeborenen Herzfehler, was die Sache noch komplizierter machte.
    Weather betrat den OP, in dem drei Chirurgen mit der Baby-Puppe übten – einem lebensgroßen, dem Gewicht der Raynes-Zwillinge entsprechenden Modell. Die Ärzte rollten es auf dem Tisch hin und her.
    »Keine Veränderung«, bemerkte Gabriel Maret gerade.
    Maret war nicht sonderlich groß und hatte einen für seinen Körper ziemlich breiten Kopf, den die wilde schwarze von grauen Strähnen durchsetzte Lockenmähne noch massiger erscheinen ließ. Dazu kamen dunkle Augen, olivfarbene Haut und ein Schneidezahn, an dem eine Ecke fehlte. Bei seinen nach der französischen Mode elegant geschnittenen Winteranzügen bevorzugte er als Material Kaschmir. Die Frauen im Krankenhaus fanden seinen französischen Akzent höchst reizvoll.
    Im Winter hatte Maret Lucas und Weather einmal pro Woche zum Abendessen besucht und bei ihnen am Familienleben teilgenommen. Er war geschieden und hatte vier Kinder. Er und seine Frau nannten nach wie vor eine gemeinsame Wohnung in Paris ihr Eigen, wo sie manchmal auch noch das Bett teilten.
    »Sie ist sturer als ein Esel«, hatte er gesagt.
    »Sturer als du?«, hatte Weather gefragt.
    »Vielleicht nicht ganz so stur.«
    Maret und Lucas, die sich bemerkenswert gut verstanden, hatten sich einmal eine geschlagene Stunde über Herrenmode unterhalten und Weather damit fast in den Wahnsinn getrieben. »Wie kann man bloß fünfzehn Minuten über Schuhe sprechen?«, hatte sie entnervt gestöhnt.
    »Wir haben uns gerade erst warmgeredet«, hatte Lucas verkündet. Und Weather war nicht sicher gewesen, ob er das als Scherz meinte.
    »Keine Veränderung«, sagte Maret.
    »Nicht, solange alles läuft wie geplant«, brummte John Dansk, der Neurochirurg. »Wenn es Probleme beim Präparieren der Sechser-Vene gibt und sie unbrauchbar wird, müssen wir unter Umständen ein anderes Stück herausnehmen, was bedeutet, dass wir Sara in diese Richtung
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