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Mord in h-moll

Mord in h-moll

Titel: Mord in h-moll
Autoren: Alexander Borell
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denn noch zu reden?«
    »Eine ganze Menge, mein Lieber. Wenn du bei Dr. Mühlbacher warst, wird er sich ja wohl mit mir in Verbindung setzen. Dann erkläre ich mich großmütig damit einverstanden, deinem neuen Glück nicht im Wege zu stehen. Das wird die Scheidung beschleunigen. Ich möchte das nämlich hinter mir haben, ehe dich die Polizei wegen deiner Unterschlagung verhaftet.«
    »Ja, das ist begreiflich.«
    »Siehst du, jetzt sprichst du ganz vernünftig. Ich möchte nicht mit einem Verbrecher verheiratet sein. Du hast das allein getan, und du wirst das auch allein ausbaden.«
    »Natürlich.«
    Ihr Blick wurde mißtrauisch. War ich in meiner Bereitwilligkeit schon zu weit gegangen?
    »Du wirst doch nicht etwa versuchen, mich hereinzulegen?« fragte sie.
    »Wie sollte ich? Es ist doch alles ganz klar.«
    »Ist es auch. Und wenn du deine Strafe abgesessen hast, dann bist du wirklich wieder frei und kannst meinetwegen tun und lassen, was dir beliebt.«
    »Und außerdem muß ich dir Geld überweisen, nicht?«
    »Selbstverständlich. Sobald du wieder verdienst. Dafür bin ich ja unschuldig geschieden.«
    Ich ließ den ledernen Pfannkuchen liegen und stand auf.
    »Es ist alles klar, Hilda. Du wirst mit mir zufrieden sein.«
    Ich setzte mich wieder in den Lehnstuhl. Vor meinem Blick stand eine große Uhr, wie eine Bahnhofsuhr. Der Zeiger zeigte fünf Minuten vor zwölf Uhr. Um zwölf Uhr mußte ich gehandelt haben, um zwölf Uhr durfte Hilda nicht mehr leben. Sonst war meine große Chance verpaßt.
    Ich öffnete den Deckel meines Tonbandgerätes. Gestern abend hatte ich das Tonband mit der h-moll Sinfonie von Schubert, der >Unvollendeten< aufgelegt, war aber nicht dazu gekommen, sie zu spielen.
    Ich ließ das Band anlaufen.
    Musik tröstete mich immer, Musik läßt mich alles um mich her vergessen. Vielleicht hätte ich meine Ehe ohne meine Musik nicht so lange ertragen können.
    Die ersten Takte. Die leise dunkle Frage der Celli und Bässe an das Schicksal. Fast alle Leute glauben, es sei Schuberts letzte Sinfonie gewesen, er habe sie nicht mehr vollenden können. Aber das ist nicht wahr. Er hat gefühlt, daß er mehr nicht sagen konnte, als in den beiden Sätzen, er fand keinen dritten mehr dazu.
    Und da... da war die Stelle, an der ich das Gerät etwas übersteuert hatte, da war im kurzen Fortissimo die unklare, schrille Stelle. Ein kleiner Fehler, aber nur dieser eine. Ich liebte dieses Band ganz besonders.
    Die Tür wurde aufgerissen.
    »Kannst du diesen Krach nicht leiser stellen?« fuhr mich Hilda an. »Die Nachbarn werden sich beschweren.«
    Vorbei der Friede. Ich sprang auf und ballte die Fäuste.
    »Du!« schrie ich. »Du hast es gerade nötig! Wenn sich die Nachbarn beschweren, dann tun sie es über deine verdammte Singerei in der Badewanne. Das ganze Haus findet dich lächerlich mit deinen albernen, abgedroschenen Chansons!«
    Nie werde ich den verachtungsvollen Blick vergessen, den sie mir zuwarf.
    »Wenn du wüßtest, mein Lieber, wer von uns beiden hier lächerlich ist.«
    Wieder, wie gestern abend, packte mich das unbändige Verlangen, diese Stimme für immer zum Schweigen zu bringen. Aber ich wußte zugleich, daß ich das auf keinen Fall in sinnloser Wut, ohne jede Überlegung würde tun können.
    »Also bitte, stell den Kasten leiser«, sagte sie noch, dann ging sie hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.
    Da ich nicht nochmals gestört werden wollte, stellte ich mein Tonband so leise, daß ich die Töne gerade noch vernehmen konnte.
    Den zweiten Satz der >Unvollendeten< hörte ich nicht mehr.
    Ich hatte mir aus dem Bücherschrank ein Buch geholt mit dem Titel »Die Psychologie des Mörders vor und nach der Tat.«
    Die Psychologie interessierte mich nicht, aber wohl die aufgeführten Mordfälle. Ich blätterte, suchte und fand nichts. Nichts, was meiner Situation geglichen hätte.
    Nein, ich konnte nicht einfach irgendeinen Mord kopieren, ich mußte mir meinen eigenen erfinden. Neu und ungewöhnlich mußte er sein. Und es mußte aussehen, als sei Hilda das Opfer eines Unfalls geworden.
    Ich war so in meine Gedanken versunken, daß ich nicht einmal merkte, daß die Musik aufhörte.
    Da traf mich plötzlich etwas wie ein Keulenschlag: Hildas rauchige Stimme. Dicht neben mir sang sie den alten Schmachtfetzen »Don’t fence me in«.
    Ich brauchte Sekunden, um zu begreifen, daß sie irgendwann einmal den leeren Rest meines Tonbandes besungen hatte.
    Und ehe sich meine Erstarrung noch gelöst hatte,
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