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Mord in der Vogelkoje

Mord in der Vogelkoje

Titel: Mord in der Vogelkoje
Autoren: Kari Köster-Lösche
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Fliegen schwärmten in die Höhe, um sich gleich wieder an anderer Stelle auf dem Toten niederzulassen. Die Innentasche des Jacketts brachte keinen Aufschluss, ebenso wenig wie die Hosentaschen, die ein sauberes, scharf geplättetes Taschentuch enthielten. In der Westentasche verbarg sich eine kleine Münze aus Kupfer, die zu unscheinbar war, um Prägeort und Jahr in Klartext preiszugeben. Asmus steckte sie ein, um sie später zu prüfen.
    »Er hat, glaube ich, etwas in der Faust«, meinte Ose.
    Der Arm des Toten lag halb unter ihm begraben, so dass Asmus diesem bisher keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Jetzt aber zog er ihn vorsichtig hervor.
    Ose hatte recht. Ein viereckiger Klotz aus rohem Holz stak fest zwischen Daumen und Zeigefinger des Toten, undals Asmus dessen Finger gestreckt hatte, kam etwas Rundes zum Vorschein. Er hielt es für Ose in die Höhe. »Nanu! Was stellt das denn dar?«
    »Einen bemalten Vogelkopf. Gib ihn mir mal!«, bat Ose mit erkennbarer Aufregung. Nachdem sie das Stück von allen Seiten betrachtet hatte, war sie sich sicher. »Das ist der Kopf eines hölzernen Lockvogels! Ich habe ein ähnliches Teil in einem Museum in München gesehen. Der Klotz ist der Zapfen, mit dem der Kopf in den Vogelkörper eingefügt wird.«
    »Ein Lockvogel?«
    »Ja. Vielleicht befindet sich der Körper ja noch irgendwo in der Nähe.«
    »Werden diese hölzernen Exemplare statt lebender Lockenten verwendet?«
    »Genau. Die Imitate werden aus Holz geschnitzt, manchmal auch nur aus einem Strohwisch gebunden. In manchen Gegenden richten sie gar keine Enten ab, sondern benutzen solche Attrappen. Das ist dort ganz normal und so erfolgreich wie mit lebenden Enten, habe ich gelesen. Es gibt auch Lockgänse.«
    »Tatsächlich.« Asmus war beeindruckt von Oses Wissen. Nachdenklich musterte er den Entenkopf und dann wieder den Toten. »Wir können die Vermutung, es handele sich um einen neugierigen frühen Badegast, vergessen. Auch den Konferenzteilnehmer. Er kam offenbar ganz gezielt wegen der Enten hierher. Sein Tod ist wohl kaum ein Jagdunfall.«
    »Meinst du wirklich? Einer, der wegen der Vogelkoje nach Sylt reist, kommt doch nicht im Abendanzug, sondern in Knickerbockern hierher.«
    »Vielleicht besitzt er keine. Wahrscheinlich ist der Anzug die in seinen Gesellschaftskreisen übliche Bekleidung.« Asmus begann den Vogelkopf sorgfältig in sein Taschentuch einzuwickeln.
    »Warte noch mal«, rief Ose und nahm Asmus den Kopf aus den Händen, um ihn genauer anzusehen. »Dieser Lockvogel ist ja wunderschön bemalt und die Farbe ziemlich frisch. Aber diese Entenart gibt es hier überhaupt nicht!«
    »Nein? Und welche Bedeutung hat das in deinen Augen?«
    »Es muss wichtig sein. Denn im Museum waren die Lockenten sehr unterschiedlich geschnitzt und bemalt, manchmal waren sie sogar von einem Federbalg überzogen. Offenbar imitieren die Schnitzer die Entenart, die die Jäger hauptsächlich fangen wollen. Manche habe ich erkannt, weil sie auch Exemplare von den Küsten hatten.«
    »Was kommt denn bei uns vor?«
    »Auf Sylt haben wir vor allem Pfeif-, Krick- und Spießenten, etwas weniger Stockenten. Das ist auf allen Inseln unterschiedlich. Aber keine von unseren hat einen rabenschwarzen Kopf mit einem Federchen im Nacken. Die wäre mir bekannt. Glaub mir!«
    »Das tu ich. Ich repetiere: Diese Lockente gehört also in eine andere Gegend und befindet sich in der Hand eines Herrn  – habe ich in voller Absicht so formuliert  –, der hier vermutlich auch fremd ist. Da tippe ich doch auf einen Wissenschaftler, der sich für die hiesigen Enten interessierte. Vielleicht hat er den Vogel ja schwimmen lassen, um festzustellen, wie die Stockenten auf dieses Imitat, das sie so nicht kennen, reagieren.«
    Ose wiegte den Kopf. »Möglich.«
    »Allerdings werden die wenigsten Wissenschaftler bei ihren Untersuchungen getötet.«
    Ein heller, peitschender Knall in nächster Nähe ertönte.
    Ose duckte sich, Asmus fuhr in die Höhe, um mit dem Kopf im Nacken zu lauschen. Ein weiterer Schuss folgte nicht.
    »Matthiesen!«, flüsterte Asmus alarmiert. »Der müsste mittlerweile hier sein. Hoffentlich ist er nicht … Komm!« Er legte den Finger über die Lippen, packte Ose bei der Hand und zog sie mit sich.
    Der Weg zum Ausgang war nicht weit, befanden sie sich doch an der nächstgelegenen Pfeife. Aber als sie am breiten Graben, der das Gelände umschloss, ankamen, war die Brücke hochgezogen. Dabei wusste Asmus ganz genau, dass sie sie
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