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Mord in Babelsberg

Mord in Babelsberg

Titel: Mord in Babelsberg
Autoren: Susanne Goga
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und niemand ihn zurückgeben konnte? Eigentlich durfte er nicht in diesen Begriffen denken. Man »verlor« nicht den Verstand, es waren physiologische und psychische Vorgänge, die das Denken und die Wahrnehmung störten. Und doch  – er stand auf und schaute aus dem Fenster. Sah das junge Mädchen auf dem Rasen sitzen.
    Er fragte sich, was ihre Augen gesehen haben mochten, bevor ihr Geist sich vor der Welt zurückzog.
    Leo und seine beiden Kollegen waren in eine Kneipe in der Nähe des Alexanderplatzes gegangen, in der man in aller Ruhe nach dem Dienst seine Weiße trinken konnte. Hier verkehrten kaum Polizeibeamte. Im Präsidium hatte sich schnell herumgesprochen, weshalb der Chef der Inspektion A nach Breslau gereist war, aber Leo wollte nach Feierabend nicht darüber reden. Er hatte Walther und Sonnenschein davon erzählt, das musste reichen. Er konnte immer noch darüber nachdenken, falls Gennat tatsächlich seine Unterstützung benötigte.
    »Der Buddha dürfte inzwischen angekommen sein«, bemerkte Walther, der offensichtlich in Gedanken ebenfalls bei ihrem beleibten Chef war, und stellte drei Gläser auf den Tisch.
    »Hm«, sagte Leo nur und hob sein Glas, um mit ihm anzustoßen. »Trinken wir lieber auf Jenny und das Strumpfband.«
    Sonnenschein lachte. »Auch wenn es nicht Verdi ist, würde ich mir gern einmal anhören, was Ihre Verlobte singt.«
    Walther verschluckte sich fast an seinem Bier. »Immer langsam, Herr Kollege. So weit sind wir noch nicht. Ich kenne sie erst seit vier Wochen.«
    »Nun, das ist doch eine lange Zeit«, sagte Sonnenschein lächelnd. »Sehr viel länger kenne ich meine Esther auch nicht, und wir wollen bald heiraten.« In letzter Zeit sprach Sonnenschein ständig von seiner Verlobten und hatte schon angedeutet, dass Leo und Walther eine Einladung ins Haus stünde.
    Leo versuchte, sich auf das Gespräch zu konzentrieren, konnte aber nicht verhindern, dass seine Gedanken immer wieder zu dem grausamen Geschehen in Breslau wanderten. Er schreckte auf, als Walther ihn anstieß. »Hörst du mir eigentlich zu?«, fragte er. »Jenny überlegt, ob sie sich lieber auf dem Akkordeon oder der Ukulele begleiten soll.«
    »Ich persönlich bevorzuge das Akkordeon«, erklärte Sonnenschein.
    »Für mich hat das immer etwas Maritimes«, gab Walther zu bedenken. »Es klingt nach Reeperbahn und Großer Freiheit, nach Matrosenliebchen. Ob das in Berlin ankommt, wage ich zu bezweifeln.«
    »Aber eine Ukulele ist so … so exotisch. Ob die hierher passt?«, fragte Sonnenschein, der sich vom Akkordeon anscheinend nicht so rasch verabschieden mochte.
    »Exotik ist in Mode«, sagte Walther eifrig. »Denken Sie an Josephine Baker.« Die amerikanische Tänzerin war im Winter mit ihrer Revue Nègre am Kurfürstendamm aufgetreten.
    »Die spielt doch nicht Ukulele«, meinte Sonnenschein.
    »Aber sie hat ein Röckchen aus Bananen«, warf Leo ein.
    »Also die Ukulele«, sagte Walther. »Jenny schreibt nämlich an einem Lied über Hawaii. ›Mit meiner Lula tanz ich den Hula‹ oder so ähnlich. Ihr müsst mal mitkommen, wenn sie auftritt. Ich würde euch gern mit ihr bekannt machen.«
    Nachdem Leo sein Bier getrunken hatte, fühlte er sich besser.Es gelang ihm endlich, die Gedanken an die Kindermorde beiseitezuschieben und sich auf den Augenblick zu freuen, in dem er die Wohnungstür aufschloss und wieder bei seiner Familie war. Vielleicht würde er dann die Leichtigkeit vom Morgen wiederfinden.

3
    DIENSTAG, 8. JUNI 1926
    Oberwachtmeister Schmehl ging die übliche Streife, die ihn jeden Morgen durch die Yorckstraße führte. Es war schon warm und hell, und er genoss die ersten Sonnenstrahlen auf dem Rücken seiner Uniformjacke. Später würde es unangenehm heiß werden unter dem Tschako. An der nächsten Straßenecke würde er sich eine Schrippe kaufen, wie er es immer tat, wenn er um diese Zeit die Runde Yorckstraße–Großbeerenstraße–Hagelberger Straße–Belle-Alliance-Straße ging. Von der belebten Belle-Alliance hörte er schon das Dröhnen des Verkehrs, doch hier war es noch ruhig.
    Er prallte beinahe mit der Frau zusammen, die völlig unvermittelt aus dem imposanten Eingang von Riehmers Hofgarten stürzte. Sie ergriff seinen Arm und zerrte ihn wortlos durch den gewaltigen Torbogen, der in die Wohnanlage führte.
    »Moment mal«, sagte Schmehl, als er sich gefasst hatte, hielt die Frau an beiden Armen fest und drehte sie zu sich um. »Nicht so schnell. Was ist denn mit Ihnen los?«
    Sie war
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