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Mord in Babelsberg

Mord in Babelsberg

Titel: Mord in Babelsberg
Autoren: Susanne Goga
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Sie ihn.«
    »Selbstverständlich.« Leo stand auf und ging zur Tür. Dann drehte er sich noch einmal um. »Ich wünsche Ihnen Erfolg und das nötige Glück, Herr Kriminalrat.«
    Trotz der Hängebacken war zu sehen, wie Gennats Kiefer mahlten. »Das kann ich weiß Gott gebrauchen, Wechsler.«
    Leo lehnte sich mit geschlossenen Augen von innen an die Toilettentür und wartete, bis sein Atem wieder ruhig ging. Dann wusch er sich das Gesicht mit kaltem Wasser undschaute in den Spiegel. Kindermorde waren das Schlimmste für jeden Polizisten, es waren Bilder, die man nie loswurde, die einen bis in die Schutzlosigkeit der Träume verfolgten.
    Junge und Mädchen. Selbst das Alter war fast gleich. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, atmete noch einmal durch und kehrte in sein Büro zurück.
    Fräulein Meinelt sah ihn fragend an, doch er winkte ab. »Was ist mit dem Bericht über den Fall Schwarz?«
    »Bin dabei, Herr Kommissar.«
    Er nickte und schloss die Tür des Vorzimmers hinter sich. Nebenan hörte er Walther und Sonnenschein miteinander reden. Vorhin erst hatten sie über Walthers neue Flamme gescherzt. Es kam ihm vor, als wären seither Stunden vergangen, doch der Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es nur zwanzig Minuten gewesen waren.
    Er hörte Gelächter, dann klopfte jemand an die Verbindungstür. »Ja, bitte?«
    Walther steckte den Kopf zur Tür herein. »Leo, um noch mal auf die Sache mit dem Continental …« Er trat näher. »Wie siehst du denn aus?«, fragte er besorgt.
    »Setz dich, Robert.«
    Wie sie da im Gras saß, hätte man sie für gesund halten können. Der Kittel wirkte von weitem wie ein weißes Sommerkleid, und das Bild erinnerte ihn an das letzte Picknick vor dem Krieg, am Tegeler See, als Erika noch gelebt hatte. Sie hatten einen Korb mit dem Essen dabeigehabt – belegte Brote, Buletten, eingelegte Gurken, Obst, sogar eine Schüssel Vanillepudding hatte sie mitgeschleppt. Dazu eine Flasche Limonade und eine Flasche Moselwein.
    Dr. Erich Hartung schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben, die sich störend auf seine Arbeit auswirkten. Er war Arzt, Sentimentalität gegenüber Patienten konnte er sich nicht leisten. Sie war nicht Erika Hartung, sondern JohannaGerber, und ihr Kleid nur ein Anstaltskittel. Dennoch erregte ihr Fall sein besonderes Interesse.
    Seit ihrer Einlieferung hatte sie apathisch im Bett gelegen oder dort gesessen, wo man sie hinbrachte, wehrte sich nicht, sprach nicht, zeigte keine Reaktion. Wenn sie einschlief, litt sie unter Albträumen, und schließlich verweigerte sie den Schlaf ganz. Sie lag reglos da und hielt angestrengt die Augen offen, bis man ihr Veronal spritzte. Doch das Mittel bewirkte keinen natürlichen Schlaf, sondern eine Betäubung, ein gewaltsames Aussetzen des Bewusstseins, als hätte man einen Schalter umgelegt, um ein schmerzhaft grelles Licht auszuschalten. Er wusste, dass man aus diesem Zustand nicht erholt erwachte, weil er ein künstlicher, nicht aus dem natürlichen Bedürfnis geborener war. Etwas an der jungen Frau rührte ihn, und er musste verhindern, dass sie sich selbst zerstörte.
    Er wandte sich um und trat wieder in sein Arbeitszimmer. Seufzend setzte er sich an den Schreibtisch, der sich unter Patientenakten und anderen Unterlagen bog. Entwürfe für wissenschaftliche Vorträge, Korrespondenz mit Kollegen im In- und Ausland, all das, was er neben seiner eigentlichen Tätigkeit erledigte. Er nahm die Brille ab und massierte seinen Nasenrücken. Er war dreiundfünfzig und recht gesund, doch an Tagen wie diesen fühlte er sich alt. Nicht nur, weil sich seine Haare endgültig vom Oberkopf zurückgezogen hatten und zu einem grauen Kranz geschrumpft waren, der den Schädel wie ein verrutschter Heiligenschein umrahmte. Nein, auch weil ihm seit seinem Wechsel von der Universität hierher nach Wittenau sein jugendlicher Idealismus abhandengekommen war, die Zuversicht, fast jeden Patienten heilen und in ein normales Leben zurückführen zu können.
    Er war stets ein Optimist gewesen, jedenfalls bis Erika gestorben war, und auch danach noch, denn ihr Unfalltod war für ihn zwar kaum erträglich, für sie aber ohne Schmerz undLeid gewesen. Ein Lastwagen, der auf vereister Straße ins Schleudern geraten war, eine Frau am Bordstein, die gerade die Fahrbahn überqueren wollte … Er konnte es rational erklären, was die Trauer nicht geringer machte, ihm aber half, den Verstand nicht zu verlieren.
    Doch wenn ein Mensch den Verstand verlor
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