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Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman

Titel: Mord im Tal der Koenige - Historischer Roman
Autoren: Cay Rademacher
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Mumienform. Die Gestalt des Toten hielt Krummstab und Geißel in den gekreuzten Händen, an ihrem Kinn war der lange, am Ende gekrümmte Zeremonialbart angebunden, um ihre Stirn wand sich die schützende Uräusschlange. Der Sarg schimmerte in Gold und Lapslazuli. Auch hier waren alle Namenskartuschen herausgeschlagen worden. Und die goldene Maske, die einst über dem Gesicht des Toten gelegen hatte, war in Höhe der Augenbrauen brutal abgerissen.
    Rechmire konnte sich denken, wer der gesichtslose Pharao war, dessen Weiterleben im westlichen Horizont jemand später gründlich hatte verhindern wollen, indem er Namen und Antlitz auslöschte. Er erblickte das, was von Dem-dessen-Namen-niemand-nennt übrig geblieben war.
    Neben dem Sarg kniete der Hohepriester und sang mit tiefer, gutturaler Stimme.
    »Schön bist du und herrlich,
mit Freude erfüllst du das Herz.
Du lässt Bäume und Gräser grünen,
die Vögel fröhlich flattern,
die Lämmer springen,
Millionen Löwenjungen tollen.
Du wärmst mir das Herz,
und niemand kennt dich,
außer Userhet.«
    Der Hohepriester kniete mit dem Rücken zur Tür und hatte seine dunklen, stechenden Augen auf den gesichtslosen Kopf des Sarges gerichtet. Er trug ein hohes, gestärktes Leinengewand und hatte sich ein Pantherfell über die linke Schulter geworfen. Seine dunkle Haut glänzte vor Schweiß und teuren Duftölen, seine goldenen Zähne blitzten, während er sang.
    Für einen Moment spielte Rechmire mit dem Gedanken, Userhet einfach irgendwie von hinten anzufallen und sofort umzubringen. Doch dann dachte er sich, dass der Hohepriester den Anschlag auf den Pharao möglicherweise längst vorbereitet hatte und selbst sein Tod nicht das Leben Merenptahs zu schützen vermochte. Also versuchte er, die Tür möglichst leise aufzudrücken, um Userhet zu überraschen und zu fesseln.
    Doch er hatte nicht daran gedacht, wie alt die Tür war. Als er sie aufdrückte, knarrte das Holz wie ein Schiffsrumpf im Sturm und die bronzenen Beschläge kreischten lauter und misstönender als erfahrene Klageweiber.
    Userhet unterbrach sofort seinen Gesang, fuhr hoch und starrte Rechmire an. Für einen winzigen Moment spiegelte sein dunkles, feistes Gesicht grenzenlose Überraschung, dann legte sich wieder die Maske des Hochmutes über seine Züge.
    »Der neugierige Schreiber aus Theben«, sagte er kalt. »Ich hätte mir denken können, dass du irgendwann hier auftauchen würdest.«
    »Und ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet ein Hohepriester des Amun ein Mörder ist, ein Frevler gegen die Götter und sogar ein Anhänger ist von Dem-dessen-Namen-niemand-nennt«, entgegnete Rechmire. Wut brannte in ihm wie ein hohes Opferfeuer, Wut auf diesen Mann, den er fürchtete und von dem er doch vor wenigen Tagen noch gehofft hatte, dass er einst sein Schwiegervater werden könnte.
    »Hier kannst du den Namen ruhig nennen«, fuhr ihn Userhet herrisch an. »Aton ist der einzige Gott. Echnaton war sein erster Prophet. Amun, Thot, Ptah, Hathor, Meretseger und wie die anderen tausend Götter des Landes Kemet heißen, deren ich so überdrüssig bin – sie alle sind Blendwerk. Nichts, als mit Gold übergossene und von den Früchten des Landes fett genährte Illusionen.«
    »Und das predigt mir ausgerechnet der Hohepriester des Amun, der reichste und fetteste Priester von allen!«, höhnte Rechmire zornig.
    So etwas wie ein anerkennendes Lächeln huschte über Userhets Gesicht. »Wer sonst wäre wohl besser geeignet, Aton wieder zu der Macht über Beide Reiche zu verhelfen, die er einst schon einmal genossen hat?«, gab er kalt zurück.
    Sie fingen an, um den Sarg Echnatons zu kreisen wie zwei Löwen, die sich in einer engen Grube belauern. Oder wie ein Elefant und ein Skarabäus, dachte Rechmire düster, als er auf Userhets riesige, stark behaarte Hände blickte und sich vorstellte, wie sein Gegner ganz allein die steinerne Platte vor dem versteckten Grab beiseite geschoben hatte.
    »Du nennst dich Türöffner des Himmels«, zischte Rechmire.
    »Die Menschen glauben an dich! Wie kann dein Ka ruhig bleiben bei dem Gedanken an die vielen tausend Menschen, deren Hoffnungen du so bitter täuschst? Alle Opfer, alle Rituale vor den Augen Amuns sind seit Jahren wertlos, weil du, sein Erster Diener, unrein bist.«
    »Ich bin reiner als die anderen Priester, die fett sind von den Gänsen und Rindern, die ihnen die Bauern opfern. Ich bin reiner als die, die Priester werden, nur weil sie auf eine Stelle am Hof des Pharaos
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