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Mord im Spiegel

Mord im Spiegel

Titel: Mord im Spiegel
Autoren: Agatha Christie
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Bankdirektor mit seiner Familie, nachdem Türen und Fensterrahmen durch einen Anstrich in leuchtendem Königsblau verschönert worden waren. In den meisten alten Häusern wohnten neue Leute, doch die Häuser selbst waren kaum verändert worden, da die Käufer sie gerade wegen ihres »altmodischen Charmes«, gekauft hatten, wie der Makler es nannte. Die neuen Bewohner hatten höchstens ein Badezimmer angebaut oder eine Menge Geld für neue Leitungen, einen elektrischen Herd oder eine Spülmaschine ausgegeben.
    Die alten Häuser sahen zwar noch so aus wie früher, doch von der Dorfstraße konnte man das kaum behaupten. Wenn hier ein Laden den Besitzer wechselte, so geschah es mit der Absicht, sofort und so gründlich wie möglich zu modernisieren. Mit seinem neuen riesigen Schaufenster, hinter dem die auf Eis liegenden Fische glitzerten, war das Fischgeschäft kaum wieder zu erkennen. Der Metzger hatte am Althergebrachten festgehalten – denn gutes Fleisch blieb gutes Fleisch, falls man das Geld hatte, es zu bezahlen. Sonst musste man die billigeren Stücke und die Knochen nehmen und sich eben damit zufriedengeben. Barnes, der Lebensmittelladen, war noch da und unverändert, wofür Miss Hartnell und Miss Marple und andere Gott täglich dankten. So zuvorkommend – bequeme Stühle an der Theke und ausführliche Gespräche über die Dicke der Speckscheiben und eine große Auswahl an Käse. Am Ende der Straße, wo einst Mr Toms Korbgeschäft gewesen war, stand jetzt allerdings ein glitzernder moderner Supermarkt – für die alten Damen von St. Mary Mead ein ständiger Stein des Anstoßes.
    »Die verkaufen abgepacktes Zeug, von dem man noch nie gehört hat«, empörte sich Miss Hartnell. »Riesige Pakete mit Frühstücksflocken, statt einem Kind ein ordentliches Frühstück aus Eiern und Speck zu machen! Man muss einen Einkaufskorb nehmen und selbst nach den Sachen suchen… manchmal dauert es eine Viertelstunde, bis man es gefunden hat… und dann ist es nicht die passende Menge, entweder zu groß oder zu klein abgepackt. Und wenn man hinausgehen will, wartet immer eine lange Schlange an der Kasse. Höchst ermüdend! Natürlich ist es für die Leute aus der Siedlung sehr bequem…«
    An dieser Stelle brach sie ab.
    Denn es war ihr zur Gewohnheit geworden, dann nicht weiterzusprechen. Die Siedlung und Punkt. Das Wort sprach für sich, und zwar groß geschrieben.
     
    Miss Marple stieß einen kurzen ärgerlichen Ausruf aus. Sie hatte wieder eine Masche fallen gelassen. Und das schon vor einiger Zeit. Aber erst jetzt, als sie für den Hals abnehmen und die Maschen zählen musste, hatte sie es bemerkt. Sie nahm eine Reservenadel, hielt das Strickzeug schräg ins Licht und betrachtete es besorgt. Sogar die neue Brille nützte nicht viel. Weil, überlegte sie, anscheinend eine Zeit kam, wo selbst der Optiker, trotz seines üppigen Wartezimmers, trotz seiner modernen Instrumente, trotz der grellen Lampe, mit der er einem ins Auge leuchtete, und trotz der hohen Gebühren, die er verlangte, nichts mehr für einen tun konnte. Miss Marple dachte mit einer gewissen Wehmut daran, wie gut ihre Sehkraft noch vor ein paar Jahren gewesen war (nun, vielleicht nicht gerade vor ein paar Jahren). Von ihrem Garten aus, der so günstig gelegen war wie ein Aussichtspunkt – wie wenig war ihrem wachsamen Auge von dem entgangen, was in St. Mary Mead geschah! Und mithilfe des Fernrohrs, das sie angeblich brauchte, um die Vögel zu beobachten – eine höchst nützliche Ausrede –, hatte sie stets sehen können, wie…
    Sie wollte nicht weiter daran denken, sondern ließ ihre Gedanken in die Vergangenheit zurückwandern. Anne Protheroe im Sommerkleid, wie sie zum Pfarrgarten ging. Und Oberst Protheroe – der Ärmste –, ein sehr langweiliger und unangenehmer Mann, das stand fest… aber auf diese Weise ermordet zu werden… Miss Marple schüttelte den Kopf und dachte an Griselda, die hübsche junge Frau des Pfarrers. Die liebe Griselda… so eine treue Freundin… Jedes Jahr zu Weihnachten eine Karte. Ihr netter kleiner Junge hatte sich zu einem strammen jungen Mann entwickelt, mit einem sehr anständigen Beruf. War er nicht Ingenieur? Es hatte ihm immer Spaß gemacht, seine Eisenbahn zu zerlegen. Hinter dem Pfarrhaus war der Zaunübergang und der Feldweg zu den Weiden von Bauer Giles gewesen, wo nun – heute…
    Dort lag jetzt die Siedlung.
    Und warum auch nicht, überlegte Miss Marple sachlich. Es war einfach notwendig. Die Häuser wurden
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