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Mord im Spiegel

Mord im Spiegel

Titel: Mord im Spiegel
Autoren: Agatha Christie
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erfreulichen Beschäftigung verbringen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, weil man nicht auf dem schnellsten Weg zurückkehrte.
    Nach einem letzten Blick auf die gebrechliche alte Dame, die so friedlich am Fenster saß, machte sich Miss Knight also fröhlich auf den Weg.
    Nachdem Miss Marple ein paar Minuten gewartet hatte, ob Miss Knight zurückkam, um ein Netz oder ihre Handtasche oder ein Taschentuch zu holen – Miss Knight war groß im Vergessen und Zurückkommen –, und auch, um sich von der Anstrengung zu erholen, die das Erfinden von Aufträgen für Miss Knight hervorgerufen hatte, stand sie rasch auf, warf ihr Strickzeug auf einen Stuhl und ging zielstrebig durch das Zimmer und in den Flur hinaus. Sie nahm ihren Sommermantel vom Haken, holte einen Spazierstock aus dem Ständer und vertauschte die Hausschuhe gegen ein Paar solide Laufschuhe. Dann verließ sie durch die Hintertür das Haus. »Sie wird mindestens eineinhalb Stunden brauchen«, sagte Miss Marple laut. »Wenn nicht länger – bei den vielen Leuten aus der Siedlung, die um diese Zeit einkaufen.«
    Im Geist sah Miss Marple Miss Knight bei Longdon wegen der Vorhänge nachfragen, die noch gar nicht fertig sein konnten. Ihre Vermutung stimmte bemerkenswert genau. Gerade in diesem Augenblick sagte Miss Knight: »Natürlich war mir klar, dass sie noch nicht fertig sein konnten! Aber natürlich sagte ich, ich würde mich erkundigen, als die alte Dame mich darum bat. Die lieben alten Leute, sie haben so wenig, auf das sie sich freuen können! Man muss sie aufmuntern. Und sie ist eine so reizende alte Dame. Etwas schwächlich geworden, doch das war zu erwarten – die Kräfte nehmen eben ab. Wirklich ein hübscher Stoff, den Sie da haben. Gibt es ihn auch in anderen Farben?«
    Miss Knight verbrachte angenehme zwanzig Minuten in dem Laden und verabschiedete sich schließlich. Nachdem sie gegangen war, bemerkte die erste Verkäuferin mit einem verächtlichen Schnüffeln: »Schwächlich soll sie sein? Das glaube ich erst, wenn ich sie selbst gesehen habe. Die alte Miss Marple war immer munter wie ein Reh und ist es bestimmt auch jetzt noch!« Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit einer jungen Frau in engen Hosen und Segeltuchjacke zu, die einen Plastikvorhang mit Krabbenmuster für das Badezimmer suchte.
     
    »Sie erinnert mich an Emily Waters, ja, genau!«, sagte Miss Marple, der es immer Spaß machte, Vergleiche mit Menschen aus ihrer Vergangenheit anzustellen und Ähnlichkeiten zu entdecken. »Das gleiche Spatzenhirn! Was ist eigentlich aus Emily geworden?«
    Nichts Besonderes, überlegte sie. Einmal hätte sie sich beinahe mit dem Pfarrer verlobt, doch nachdem sie sich ein paar Jahre gekannt hatten, war die Sache im Sand verlaufen. Entschlossen verdrängte Miss Marple jeden weiteren Gedanken an ihre Pflegerin aus ihrem Kopf und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Umgebung. Sie hatte eilig den Garten durchquert und nur aus den Augenwinkeln heraus festgestellt, dass Laycock die Rosen zurechtgestutzt hatte, als wären es Polyantharosen, doch sie ließ sich von dem Anblick nicht deprimieren. Sie wollte das köstliche Gefühl auskosten, dass es ihr gelungen war, ihrer Pflegerin zu entschlüpfen und allein einen Ausflug machen zu können. Es war wie ein großes Abenteuer. Sie wandte sich nach links, schritt durch das Tor zum Pfarrgarten, ging durch den Garten und stand vor dem Zaunübergang zu den Viehweiden. Aber wo einst dieser Übergang gewesen war, befand sich jetzt ein Gittertor, der Weg dahinter war asphaltiert. Die schmale Straße führte zu einer hübschen kleinen Brücke und auf der anderen Seite des Flusses zu den einstigen Viehweiden, wo keine Kühe mehr grasten, sondern jetzt die Siedlung stand.

2
     
    M it dem Gefühl, das Columbus gehabt haben musste, als er auszog, die Neue Welt zu entdecken, schritt Miss Marple über die Brücke und den Weg entlang. Vier Minuten später war sie schon in der Aubrey Close.
    Natürlich hatte Miss Marple die Siedlung von der Market Basing Road aus schon gesehen, das heißt, aus der Ferne. All die Reihen von hübschen, ordentlich gebauten Häusern mit den Fernsehantennen und den blau und rosa und gelb und grün gestrichenen Türen und Fenstern! Doch so, wie die Dinge lagen, hatte die Siedlung bisher nur die Realität eines Stadtplans gehabt. Miss Marple war noch nie dort gewesen. Aber jetzt war sie hier und betrachtete die schöne, neue Welt, die entstand, eine Welt, die völlig anders war als alles,
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