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Mord im Orientexpress

Mord im Orientexpress

Titel: Mord im Orientexpress
Autoren: Agatha Christie
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richtig –, dann musste offensichtlich auch der Schlafwagenschaffner in das Komplott eingeweiht sein. Wenn er das aber war, dann hatten wir es mit dreizehn Personen zu tun, nicht mit zwölf. Statt der üblichen Ausgangslage: ‹Von soundso vielen Leuten ist einer schuldig› stand ich vor dem Problem, dass von dreizehn Personen eine, und nur eine, unschuldig sein musste. Welche?
    Ich kam zu einem sehr kuriosen Schluss. Ich kam zu dem Schluss, dass die eine Person, die sich an der Tat nicht beteiligt hatte, ausgerechnet diejenige war, von der man eine Beteiligung am ehesten erwartet hätte. Ich spreche von der Gräfin Andrenyi. Der feierliche Ernst, mit dem ihr Gatte mir bei seiner Ehre schwor, dass seine Gemahlin in dieser Nacht zu keinem Zeitpunkt ihr Abteil verlassen habe, hat mich tief beeindruckt. So zog ich den Schluss, dass Graf Andrenyi gewissermaßen die Stelle seiner Frau eingenommen hatte.
    Wenn das stimmte, dann musste Pierre Michel auf jeden Fall einer der zwölf sein. Aber wie war seine Mittäterschaft zu erklären? Er ist ein ehrenwerter Mann, seit vielen Jahren im Dienst der Schlafwagengesellschaft – ganz gewiss nicht der Mensch, der sich durch Bestechung zur Teilnahme an einem Verbrechen verleiten ließe. Also musste Pierre Michel in den Fall Armstrong einbezogen sein. Das erschien mir jedoch sehr unwahrscheinlich. Bis mir einfiel, dass es sich bei dem toten Kindermädchen um eine Französin gehandelt hatte. Angenommen, dieses unglückliche Mädchen war Pierre Michels Tochter? Das würde alles erklären – sogar den Ort, den man sich zur Begehung der Tat ausgesucht hatte. Gab es noch andere, deren Rolle in dem Drama nicht ganz geklärt war? Colonel Arbuthnot habe ich als Freund der Familie Armstrong eingeordnet. Wahrscheinlich waren sie zusammen im Krieg gewesen. Die Zofe, Hildegard Schmidt – ihre Stellung im Hause Armstrong konnte ich erraten. Ich lege vielleicht übermäßig großen Wert auf gutes Essen, jedenfalls rieche ich eine gute Köchin von weitem. Ich stellte ihr also eine Falle – und sie trat prompt hinein. Als ich sagte, sie sei doch bestimmt eine gute Köchin, antwortete sie: Ja, das haben bisher alle meine gnädigen Frauen gesagt.) Aber wie oft hat eine Herrschaft schon Gelegenheit, die Kochkünste einer Zofe zu beurteilen!
    Dann hatten wir noch Mr. Hardman. Er schien nun ganz entschieden nichts mit dem Hause Armstrong zu tun zu haben. Ich konnte mir höchstens vorstellen, dass er vielleicht in die kleine Französin verliebt gewesen war. Also sprach ich ihn auf den Charme fremdländischer Frauen an – und wieder bekam ich die Reaktion zu sehen, die ich erwartet hatte. Er hatte plötzlich Tränen in den Augen – und tat prompt so, als hätte der Schnee ihn geblendet.
    Blieb also nur noch Mrs. Hubbard. Nun lassen Sie mich sagen, dass Mrs. Hubbard die wichtigste Rolle in dem ganzen Drama zu spielen hatte. Da sie das Abteil mit Verbindungstür zu Mr. Ratchetts Abteil innehatte, konnte sie eher als alle anderen in Verdacht geraten. Es lag in der Natur der Sache, dass sie kein Alibi vorweisen konnte. Um ihre Rolle zu spielen – das vollkommen natürliche, leicht komische amerikanische Mutterherz – bedurfte es einer Künstlerin. Aber im Umkreis der Familie Armstrong gab es ja eine Künstlerin – Mrs. Armstrongs Mutter – die Schauspielerin Linda Arden…»
    Er verstummte.
    Da meldete sich mit klangvoller, leicht verträumter Stimme – einer ganz anderen als der, mit der sie während der ganzen Reise gesprochen hatte – Mrs. Hubbard zu Wort:
    «Ich hatte mir schon immer mal eine komische Rolle gewünscht.»
    Und im gleichen verträumten Ton fuhr sie fort:
    «Das mit dem Waschzeugbeutel, das war ein dummer Patzer. Woran man sieht, dass nichts über eine ordentliche Probe geht. Wir hatten auf dem Hinweg alles durchgespielt – aber da hatte ich wohl ein Abteil mit gerader Nummer. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass die Schlösser an verschiedenen Stellen sitzen.»
    Jetzt drehte sie sich so, dass sie Poirot voll ins Gesicht sah.
    «Sie wissen alles, Monsieur Poirot. Sie sind ein großartiger Mann. Aber selbst Sie können sich nicht richtig vorstellen, wie das war – an diesem entsetzlichen Tag in New York. Ich war vor Schmerz von Sinnen – die Dienerschaft ebenso – und Colonel Arbuthnot war auch da. Er war John Armstrongs bester Freund.»
    «Er hat mir im Krieg mal das Leben gerettet», sagte Arbuthnot.
    «Da haben wir – vielleicht war es ja verrückt von uns – ich
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