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Mord im Orientexpress

Mord im Orientexpress

Titel: Mord im Orientexpress
Autoren: Agatha Christie
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stellend. Aber beim zweiten machte er eine recht sonderbare Bemerkung. Ich hatte ihm vom Fund eines Briefs berichtet, in dem der Fall Armstrong erwähnt wurde. Da sagte er: ‹Aber der –›, dann stockte er kurz und fuhr fort: ‹Ich meine, war das nicht ein bisschen schludrig von dem Alten?›
    Ich konnte förmlich fühlen, dass er das ursprünglich gar nicht hatte sagen wollen. Nehmen wir an, er hatte sagen wollen: ‹ Aber der wurde doch verbrannt! › In diesem Fall hätte Mr. MacQueen von dem Brief und seiner Vernichtung gewusst – mit anderen Worten, er war entweder der Mörder oder ein Komplize des Mörders. Sehr gut.
    Dann der Diener. Er sagte, sein Herr pflege auf Reisen immer einen Schlaftrunk zu nehmen. Das mochte ja stimmen – aber hätte Ratchett ihn auch letzte Nacht genommen? Die Pistole unter seinem Kopfkissen strafte diese Aussage Lügen. Ratchett hatte letzte Nacht jederzeit wachsam sein wollen. Ein eventuelles Betäubungsmittel konnte ihm nur ohne sein Wissen verabreicht worden sein. Von wem? Offenbar doch nur von Mr. MacQueen oder dem Diener.
    Kommen wir nun zu Mr. Hardmans Aussage. Was er mir über seine Person sagte, habe ich ihm alles geglaubt, aber bei der Art und Weise, wie er Mr. Ratchett zu beschützen gedachte, war seine Geschichte nichts mehr und nichts weniger als blanker Unsinn. Die einzige Möglichkeit, Ratchett wirksam zu schützen, wäre gewesen, die Nacht in seinem Abteil zu verbringen, zumindest aber an einer Stelle, von wo aus er die Tür im Auge behalten konnte. Aus seiner Aussage ging als Einziges klar hervor, dass niemand aus einem anderen Teil des Zuges Ratchett ermordet haben konnte. Sie kreiste somit eindeutig die Reisenden im Kurswagen Istanbul-Calais ein. Ich fand das eigenartig und wusste es mir nicht zu erklären, also habe ich es mir fürs Erste nur gemerkt, um später darüber nachzudenken.
    Sie haben inzwischen wohl schon alle erfahren, dass ich einige Fetzen aus einem Gespräch zwischen Miss Debenham und Colonel Arbuthnot mitgehört hatte. Das Interessante war daran für mich, dass Colonel Arbuthnot sie Mary nannte, also offenbar auf sehr vertrautem Fuß mit ihr stand. Dabei hatte er sie doch angeblich erst wenige Tage zuvor kennen gelernt – und ich kenne Engländer seines Schlages. Selbst wenn er sich auf den ersten Blick in die junge Dame verliebt hätte, wäre er langsam und streng nach der Sitte vorgegangen – jedenfalls nicht so stürmisch. Ich schloss daraus, dass Colonel Arbuthnot und Miss Debenham sich in Wirklichkeit sehr gut kannten, aber aus irgendeinem Grund so taten, als wären sie einander fremd. Ein anderer kleiner Punkt war, dass Miss Debenham mir, als ich sie nach dem englischen Wort für ‹Ferngespräch› fragte, nicht den englischen Ausdruck – trunk call – nannte, sondern den amerikanischen – long-distance call. Wo sie mir doch erzählt hatte, sie sei nie in Amerika gewesen!
    Gehen wir zu einer weiteren Zeugin über. Mrs. Hubbard hatte uns berichtet, sie habe vom Bett aus nicht sehen können, ob die Verbindungstür verriegelt war oder nicht, und deshalb habe sie Miss Ohlsson gebeten nachzusehen. Nun wäre ihre Behauptung durchaus zutreffend gewesen, wenn sie eines der Abteile Nummer zwei, vier oder zwölf – jedenfalls eine gerade Zahl – gehabt hätte, denn in diesen Abteilen befindet sich das Verriegelungsschloss tatsächlich unterhalb der Türklinke, während es sich in den ungeraden Abteilen – zum Beispiel Nummer drei – weit oberhalb der Türklinke befindet und deshalb kein bisschen von ihrem Waschzeugbeutel verdeckt gewesen sein konnte. Ich sah mich zu dem Schluss genötigt, dass Mrs. Hubbard da einen Vorfall erfand, der nie stattgefunden hatte.
    Und nun lassen Sie mich noch ein paar Worte über Zeiten sagen. Das eigentlich Interessante an der beschädigten Uhr war für mich der Ort, an dem sie gefunden wurde – in Ratchetts Schlafanzugtasche, wo eine Uhr doch sehr störend wäre, weshalb niemand sie dort tragen würde, zumal am Kopfende des Bettes eigens ein Haken dafür angebracht ist. Daher war ich überzeugt, dass man die Uhr mit Bedacht in seine Tasche gesteckt und verstellt hatte. Also war die Tat nicht um Viertel nach eins begangen worden.
    Wurde sie demnach früher begangen? Genauer gesagt, um dreiundzwanzig Minuten vor eins? Mein Freund Monsieur Bouc führt als Argument für diese Vermutung den lauten Schrei an, der mich aus dem Schlaf weckte. Wenn aber Ratchett unter der Einwirkung eines starken
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