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Mord im Nord

Mord im Nord

Titel: Mord im Nord
Autoren: A Giger
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derzeit nicht ganz klar. Dein Alter jedenfalls nicht mehr. Der hat
Gnadenfrist. Vielleicht solltest du ihn doch mal besuchen. Die Alten gehören
nun mal zu einem, ob man will oder nicht.»
    Stahl sah sie an. Sie hatte ihr rotes Haar noch nicht nachgefärbt. Es
glänzte so feurig wie einst. Ihre hellgrünen Augen strahlten aus dem
Sommersprossengesicht, das auch im Hochsommer keine Bräune annahm. Ihre vollen
Lippen schürzten sich, als warteten sie auf einen Kuss, und das selbst
gestochene Tattoo, das sich aus ihrem Dekolleté räkelte und auf dem Stahl
manche Nacht geschlafen hatte, hob sich mit jedem Atemzug.
    «Zimmer 301 wäre frei. Hundertneunundzwanzig Franken pro Nacht. Bezahlung
im Voraus», sagte Regula.
    «Internet?»
    «Drei Franken zusätzlich. Gilt aber die ganze Woche.»
    «In Ordnung.» Stahl bezahlte mit Karte und füllte den Meldeschein aus.
    «Im Lift drückst du auf die Vier. Dann musst du eine Stiege hinunter, um
auf die Dreihunderter zu kommen.»
    Regula reichte ihm den elektronischen Schlüssel und berührte ihn leicht.
    «Schön, dich zu sehen.»
    «Vielleicht könnten wir ja mal –»
    «Besser nicht.»
     
    Palm sah sich um. Viel war nicht los. So ein Renner, wie
Stahl angepriesen hatte, schien der Mittagstisch hier nicht zu sein. Die «Kronenhalle»
an der Rämistrasse wäre ihm lieber gewesen. Nicht nur, weil er dort
unverbindlich Geschäftsleute treffen konnte und dabei mitbekam, was gerade so
lief; auch das Geschnetzelte war sensationell. Alles stimmte, Preis-Leistung
ohne Risiko. Das liebte Palm. Für diese Kategorien war er zuständig, damit
kannte er sich aus. Die Risiken sollten andere eingehen. Seine Aufgabe war,
davon zu profitieren oder rasch Abstand zu nehmen. Nur solange er dieses Gespür
hatte, begehrten ihn seine Kunden. Und sein Gespür verriet ihm, dass dieser
Laden eher Verdruss als Genuss bringen würde. Schon der Name: «Krummes Kreuz».
«An seinem Namen sollst du ihn erkennen», murmelte Palm. «Kronenhalle», das
klang nach grossem Orchester. Palm assoziierte mit «Krummes Kreuz» sofort einen
geschundenen Jesus, dem sich das Kreuz unter dem Kreuz bog, während er es über
den Leidensweg schleppte. Palm spürte umgehend ein Ziehen bei der Wirbelsäule
in der Lendengegend. Die Bandscheiben zwischen L3 und L5 waren ihm erst
vor einem Jahr herausgesprungen. Schmerzen, die er nie mehr vergass, und die
ihn bei jedem Erwachen daran ermahnten, seine Morgen-Gymnastik zu machen. Heute
hatte er sie ausgelassen, zum zweiten Mal in dieser Woche. Am Donnerstag war es
die Ermordung von Albin Studer gewesen, heute war es Stahls Ankunft, die ihn
hinderten, sich in Ruhe und Hingabe dem aufsteigenden Prana zu widmen. Er
ahnte, dass sich das rächen würde. Vor allem, wenn er sich in dem Schuppen
umsah, in den ihn Stahl beordert hatte. Säufer und Nutten, wohin man sah. Und
viele leere Plätze.
    Er hatte die Langstrasse noch nie gemocht. Sie gehörte für ihn nicht zu
Zürich, sondern zur Dritten Welt. In seinem Boss-Anzug und der dunkelblauen
Krawatte kam er sich vor wie ein saftiges Steak inmitten eines Hyänenkäfigs.
Gleich würden sie ihn beschnuppern. Erst die Nutten, dann deren Zuhälter. Sein
Geld war er so oder so los. Hauptsache, er kam mit dem Leben davon. Was bildete
Stahl sich ein, ihn hierherzubestellen. Und warum war er so blöde gewesen,
dieser Aufforderung zu folgen? Überhaupt war es ein Witz, dass Stahl entschied,
wo man ass. Immerhin war Palm der Auftraggeber. Aber Stahl hatte diese Art, der
Palm nicht widerstehen konnte. Er war Stahl ausgeliefert. Sie hatten ihn im
Vatikan nicht nur an den Waffen geschult, sondern auch in listiger Diplomatie
und schwarzer Rhetorik. Als hätte ihn Benedikt selbst unter der Fuchtel gehabt.
Sicher aber war, dass er Studers Schüler war. Und dass Studer mit allen Wassern
gewaschen gewesen war, war kein Geheimnis. Dass ihn aber ausgerechnet ein
Junkie mit einer Boule-Kugel erschlagen haben sollte, mochte glauben, wer
wollte. Aber es war die einfachste Lösung für alle. Der Vatikan hatte keine
Lust auf eine grössere öffentliche Geschichte, die Zürcher Polizei gab sich mit
dem Junkie zufrieden, dessen Fingerabdrücke man auf der Kugel gefunden hatte.
Nur ein Geschäftsmann aus Zug, der Palm einen Anwalt in die Kanzlei geschickt
hatte, glaubte nicht an die einfache Lösung. Deshalb sass Palm nun hier und
wartete auf Stahl. Und wegen Alfred.
    «Was trinkst du?», fragte eine Kellnerin in knappen Höschen und mit einem
geschwollenen Auge,
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