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Mord im Nord

Mord im Nord

Titel: Mord im Nord
Autoren: A Giger
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das durch den dunklen Teint ihres Gesichtes nicht blau,
sondern violett schimmerte.
    «Ich warte noch auf jemand.» Palm spielte auf Zeit. Er sah nicht ein,
warum er etwas bestellen sollte, wenn er sich noch nicht einmal sicher war, ob
Stahl hier überhaupt auftauchen würde. Vielleicht hatte er ihn nur zum Scherz
hierherbestellt.
    «Die Mädchen warten auch», sagte die Kellnerin und deutete mit dem Kopf
zu einigen Frauen, die gelangweilt rauchten und auf Kundschaft hofften.
    Palm hatte nichts gegen bezahlte Liebe. Auch er genehmigte sich hin und
wieder ein Mädchen. Das lag allerdings zwei Preisklassen höher und gehörte
einem Escort Service an. Man konnte sogar mit ihnen in die Oper gehen und sie
vor Geschäftspartnern als aktuelle Beziehung ausgeben. Aber was er hier sah,
sprach ihn überhaupt nicht an, es schauderte ihn. Wenn die ihn erst einmal in
den Schwitzkasten nahmen, wäre es mit den Bandscheiben ein für alle Mal vorbei.
    Palm blickte nervös auf die Uhr. Es war bereits zehn nach eins. Ein
geplatztes Cordon bleu ging an den Nebentisch. Der Käse quoll eitrig aus der
Panade. Bevor sich eine der Ladys an seinen Tisch setzte, bestellte er sich
lieber auch ein Cordon bleu. Übler konnte ihm davon auch nicht werden.
     
    Stahl sah sich um, als er das «Rothaus» verliess. Er hatte
das Gefühl, beobachtet zu werden. Berufskrankheit? Konnte gut sein. Von Anfang
an hatte ihn Albin darauf getrimmt, wachsam zu sein. Aber warum sollte ihn
jemand beschatten? Er war nur gekommen, um einem alten Freund die letzte Ehre
zu erweisen. Ein Mann mit einem grauen Mantel und einer Sonnenbrille fiel ihm
auf. Er stand an der Bushaltestelle und las im «Sonntagsblick». Stahl wartete,
da der Bus gerade kam. Er verdeckte den Mann. Dann fuhr er weiter. Der Mann war
verschwunden.
    Stahl sah auf seine Uhr. Eine kleine Verspätung würde ihm Palm wohl
verzeihen. Albins Wohnung lag um die Ecke, an der Engelstrasse 88. Stahl
wollte wissen, wie sein alter Mentor gelebt hatte. Fünf Jahre lang hatte er
nichts mehr von Albin gehört. Er hatte dem Veteranen immer wieder geschrieben;
nicht nur per E-Mail, auch postalisch. Aber Albin hatte nie darauf geantwortet.
Vor zwei Jahren hatte Stahl dann weitere Versuche unterlassen. Vielleicht hätte
er sich mit Albins Schweigen nicht zufriedengeben dürfen. Ja, er hätte nach
Zürich fahren und Albin fragen sollen, warum er schwieg. Stahl machte sich
jetzt Vorwürfe, aber er hatte auch Entschuldigungen; mehr als genug. Er war im
Dauereinsatz. Urlaub kannte er nicht. Wenn er nicht für den Vatikan unterwegs
war, erledigte er Depeschen für Palm. So gefiel ihm sein Leben. Ein Tag jagte
den anderen, er fühlte sich am Puls der Zeit: wichtig und nützlich. Manchmal
berauschte ihn das Gefühl, selbst am Rädchen des Weltenlaufs zu drehen, weil er
die Leute zusammenbrachte, die an den Fäden hinter den Kulissen zogen. Stahl
wusste selten, was gespielt wurde, er war nur der Kurier. Es war besser, nicht
zu wissen, ob er mit einem Koffer Dynamit oder mit Depeschen unterwegs war, die
einer Region bessere Lebensumstände versprachen. Jetzt hatte er keine Depesche
dabei, dafür Erinnerungen an einen verstorbenen Freund, den er gern noch etwas
gefragt hätte.
    Stahl besass keinen Schlüssel für Albins Wohnung. Aber als Agent des
Papstes beherrschte er das Handwerk, Türen auch ohne zu öffnen. Prangten auf
dem Wappen des Vatikans nicht die beiden Schlüssel Petri? Stahl musste jedes
Mal daran denken, wenn er sich an einem Schloss zu schaffen machte. Es klackte.
Die Riegel sprangen unter dem Druck der Schliesswerkzeuge auf.
    Es roch nach Vatikan in der Wohnung. Anders wusste Stahl den Geruch nicht
zu beschreiben, der ihn umhüllte. Vielleicht hatte Albin ein italienisches
Putzmittel benutzt. Jedenfalls glich die scharfe Sauberkeit, die in Stahls Nase
biss, sehr den Duftnoten seines Arbeitgebers. Eine Vertrautheit breitete sich
in Stahl aus, die ihn zugleich rührte. Es war Trauer, die das Wissen um die
eigene Vergänglichkeit auslöste: Jahre, die wie im Flug an ihm vorbeigerast
waren ohne Innehalten, ohne dem Fragen nach dem Morgen und dem Ziel. Jetzt bahnten
sich Fragen den Weg an die Oberfläche. Gleichzeitig schleppten sie schwere
Tränen mit. Stahl hustete sie aus. Er wollte nicht, dass sie ihm über die
Wangen liefen, wischte sie weg, noch ehe sie genug Tropfen waren, um das Lid zu
verlassen.
    Er tastete nach dem Lichtschalter und knipste ihn an. Eine
Jugendstillampe erhellte den Flur und zeigte ein
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