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Mord im Nord

Mord im Nord

Titel: Mord im Nord
Autoren: A Giger
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allerletzten Mal.
    Andalusien liegt weit weg,
    und ich muss runter ins Tal.)
    Nun, nicht ich, sondern sie hatte damals das Gefühl, ins Tal runterzumüssen, und zwar nicht nach Andalusien, sondern in ihre alte Heimat Polen. Doch mein Schmerz darüber, dass unsere Umarmung im Frühling vielleicht wirklich die allerletzte gewesen sein könnte, blieb unvermindert stark.
    Es isch wie’s isch u wär weiss,
    Öb mir üs wieder xeh
    Vaya con Dios, Adelina, Adelina Ade!
    (Es ist, wie es ist, und wer weiss,
    ob wir uns wiedersehen.
    Gehe mit Gott, Adelina, Adelina ade!)
    Adelina war weg. Eine hübsche Pointe der Geschichte war, dass Adelina damals nicht unbedingt mit Gott, aber zu Gott ging: Sie wollte sich einige Zeit in ein polnisches Kloster zurückziehen, in dem ihre Tante Nonne war, um zu sich zu finden und ihren weiteren Lebensweg klarer erkennen zu können.
    Das letzte «Adelina» war gesungen. Die anfängliche Gitarre und die später hinzugekommene Orgel hatten sich zum letzten Mal zu jener heiteren Melancholie verbunden, die für mich den Reiz der Ballade ausmachte, und verklangen jetzt im Schlussakkord. In genau diesem Moment – ich schwöre es – klingelte mein iPhone.
    Da nicht viele Leute meine Handynummer haben und noch weniger mich zu solch später Stunde anrufen, erriet ich leicht, wer es war. Tatsächlich: Adelina. Wir hatten seit unserem gemeinsamen Fall immer mal wieder telefoniert, meist zu solch nachtschlafender Stunde, uns aber seither nicht mehr leibhaftig getroffen. Umso erfreuter war ich zu hören, dass sie unterwegs zu mir war und am nächsten Morgen ziemlich früh bei mir oben auftauchen würde. Ich bereitete sie darauf vor, dass ich derzeit nicht besonders gut drauf sei, doch sie meinte nur, dem werde sie sicher abhelfen können.

Raureif
    Adelina hatte den erstaunten Blick bemerkt, mit dem ich die Grösse ihres Rucksacks taxierte, und fiel gleich mit der Tür ins Haus, indem sie fragte, ob sie einige Tage bei mir bleiben könne. Ich stimmte freudig zu, die Erinnerung an die gemeinsamen Tage im vergangenen Frühjahr war in meinem Gedächtnis als äusserst positive Erfahrung abgespeichert. Und ich liess es mir nicht nehmen, ihren Rucksack selbst zu schultern. Das gehört für mich ebenso wie meine Bereitschaft, sie an der Postauto-Haltestelle im Kaien eigenhändig in Empfang zu nehmen, zum selbstverständlichen Repertoire eines Gentlemans der alten Schule, einer Gattung, für die ich den Ehrgeiz habe, zu beweisen, dass sie auch im Appenzellerland noch nicht ganz ausgestorben ist.
    Wohl hatte mich das Abholen ein frühes Aufstehen gekostet, doch diese kleine Unbequemlichkeit wurde mehr als wettgemacht durch die freudigen Empfindungen, die ich beim Anblick Adelinas fühlte. Sie war etwas runder geworden, was ihr ausgezeichnet stand, und sie wirkte auf mich gesund und munter. Dieser Eindruck bestätigte sich im ersten steilen Aufstieg auf einem schmalen Graspfad, den sie spielend bewältigte, ohne ausser Atem zu geraten, obwohl sie mir dabei eine Kurzversion ihres letzten halben Jahres erzählte.
    Das meiste kannte ich schon aus unseren nächtlichen Telefonaten, doch ihre Zusammenfassung machte noch einmal deutlicher, dass sich Adelina auf einem guten Weg befand. Der Aufenthalt im polnischen Kloster hatte ihr gutgetan. Sie hatte dort realisiert, dass ihr die Risiken des illegalen Hackens zu gross geworden waren und dass sie den damit verbundenen Nervenkitzel nicht mehr brauchte.
    Ihre Talente für das Recherchieren und Verknüpfen von Informationen und Wissen wollte sie fortan auf legalem Wege nutzen. Zunächst tat sie das in Form einer Reihe von Aufträgen für polnische Nichtregierungsorganisationen, die zwar schlecht bezahlt waren, ihr aber so viel Aufmerksamkeit in der Szene eintrugen, dass bald lukrativere Aufträge von kommerziellen Unternehmen eintrafen.
    Was ich noch nicht wusste, war, dass Adelina vor Kurzem dank ihrer alten Verbindungen zur Schweiz von einem auf die Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität spezialisierten Unternehmen in St.   Gallen das Angebot bekommen hatte, sie fest einzustellen.
    Das allerdings wollte sie nicht. Ihr war ihre Unabhängigkeit zu wichtig, was ich gut nachfühlen konnte. Stattdessen hatten sich beide Seiten darauf geeinigt, dass sie einige grössere Aufträge als freie Mitarbeiterin übernehmen sollte. Und weil dazu persönliche Besprechungen unabdingbar waren, war sie jetzt für einige Wochen in die Schweiz gereist und wollte bei mir unterkommen, bis sie
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