Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mord im Nord

Mord im Nord

Titel: Mord im Nord
Autoren: A Giger
Vom Netzwerk:
aber nicht hetzen. Sie verglich Belege in einem Ordner mit
Daten auf dem Bildschirm.
    «Einen Moment, bitte. Bin gleich da», sagte sie, und Stahl wurde jetzt
richtig flau im Magen. Diese Stimme war Heimat. Rau wie ein angerostetes
Reibeisen, und dennoch warm wie die Septembersonne. Unverhofft
schweisstreibend.
    Er hatte nach ihr recherchiert, wollte wissen, was sie trieb, ob und wo
sie lebte. Es war ein Leichtes gewesen, es herauszukriegen. Aber im Voraus
hatte er lange mit sich gerungen, ob er es tun sollte. Jetzt stand er hier, vor
ihr. Sie hatte ihn noch nicht erkannt. Ob er doch besser wieder umkehren
sollte? Noch war Gelegenheit dazu.
    «Sie wünschen?», fragte Regula und lächelte ihn an, wie nur sie es
konnte. Ein Lächeln, das entwaffnete. Immer und jederzeit. Solange sie diese
Waffe noch besass, musste er sich um sie keine Sorgen machen.
    Das Lächeln fror ein, dafür weiteten sich ihre Augen. Lähmende Stille,
die ein Jubelschrei zerschnitt: «Roger! Gopfridstutz. Das gibt’s doch nicht.»
Regula kam hinter der Rezeption hervorgerannt und umarmte Stahl. Dann sah sie
ihn wieder an, lachte und drückte ihm einen dicken Kuss auf den Mund. Sie löste
sich von ihm, trat einen Schritt zurück, und Skepsis machte sich auf ihrem
Gesicht breit. «Läss. Uu-läss gsesch us. Wie de Mister Bond persönlech. Besch
of gheimer Mission? Oder wer hed di is Soho gscheckt? »
    «Wie geht’s dir?», fragte Stahl und wischte sich mit dem Ärmel den
Schweiss von der Stirn.
    «Gut. Eigentlich ganz gut.»
    «Eigentlich?»
    «Na ja. Geldsorgen, Männer, das Übliche. Alltag eben.»
    Stahl nickte.
    «Weisst du überhaupt, was das ist: Alltag?», fragte Regula und schob
angriffslustig den Kiefer nach vorne. «Dem wolltest du doch immer entkommen.
Hast du es geschafft?»
    Stahl zuckte mit den Schultern. «Irgendwann wird auch das Nichtalltägliche
zum Alltag. Wie die Sucht nach Freiheit ein Gefängnis ist.»
    «Trotzdem lieber frei als im Heim oder im Gefängnis. Oder?»
    Regula sah ihn an, und in ihren Blicken flackerten Bilder der Vergangenheit.
Für Regula war Stahl nicht der Erste gewesen, aber sie hatte ihm gezeigt, wie
man küsste und Sex ohne Bezahlung geniessen konnte. Zwei Jahre lang waren sie
im Heim so etwas wie ein Paar gewesen. Eine richtige Beziehung zu leben, das
hatte sie bis dahin niemand gelehrt, und sie waren jung und hatten sich vor
Nähe gefürchtet. Stahl war zwei Jahre vor Regula aus dem Heim entlassen worden.
Er hatte ihr versprochen, auf sie zu warten. Aber das Leben hatte beiden die
Zeit nicht gegönnt. Für junge Menschen, die gelernt hatten, Versprechen zu
brechen, war ein Liebesgelübde im Kampf um den nächsten Bissen Brot schnell
vergessen.
    Sie waren sich noch einmal begegnet, vor zehn Jahren. Stahl war bereits
in Rom und war nur für eine Stippvisite nach Zürich gekommen. Es war Zufall
gewesen, dass sie sich über den Weg gelaufen waren. Sommerkino am
Helvetiaplatz. Ausgerechnet «Rocco und seine Brüder» hatten sie sich angesehen.
Danach waren sie wieder im Bett gelandet. Eine Abschiedsnummer auf vergangene
Zeiten. Sie hatten sich versprochen, sich nie wieder zu begegnen. Jeder sollte
von nun an seinen eigenen Weg gehen. Und jetzt stand Stahl vor ihr. Wieder
hatte er ein Versprechen nicht gehalten. Und wieder nahm es ihm Regula nicht
übel.
    «Brauchst du etwa ein Zimmer?», fragte Regula.
    «Für drei Tage.»
    «Siehst aus, als könntest du dir etwas Besseres leisten.»
    «Hab’s versucht. Aber ich fühl mich dort zu allein.»
    «Scheissstallgeruch, was? Irgendwie kommt man nie davon los. Willst du
deinen Alten besuchen?»
    Stahl schüttelte den Kopf.
    «Meiner ist vor zwei Jahren gestorben. Komisches Gefühl. Ich war tatsächlich
auf der Beerdigung. Dabei hatte ich mir geschworen, das niemals zu tun. Aber
ich war es meinem Sohn schuldig.»
    «Du hast einen Sohn?»
    «Richy. Er ist fünf.»
    «Und der Vater?»
    Regula lachte. Es war ein Überlebenslachen. «Huere Siech. Mängmol isch es
halt wie emmer. Endlosschlaufe.»
    Stahl hob fragend die Brauen. Er verstand nicht.
    Regula biss sich auf die Unterlippe, dann verzog sie die Lippen wie ein
Clown und sagte: «Jamaikaner. Sitzt seit einem Jahr.»
    «Drogen?»
    «Was sonst.»
    «Wie steht es mit dir? Bist du sauber?»
    «Vom Heroin bin ich schon lange weg. Manchmal ein wenig Koks, damit ich
weiss, dass ich der Boss der Langstrasse bin.» Sie presste die Lippen zusammen
und hob die Brauen.
    «Und wer ist sonst der Boss der Langstrasse?»
    «Ist
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher