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Mord im Nord

Mord im Nord

Titel: Mord im Nord
Autoren: A Giger
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Stahl von Albin gelernt hatte: keine unnötigen
Aktionen, keine Kapriolen, keine Schnörkel.
    «Junkie erschlägt Gardisten mit Boule-Kugel!» Die Buchstaben sprangen
fett aus dem Papier. Albin wäre das zu schrill gewesen. Ein leiser Nachruf im
Kreise der Veteranen hätte ihm genügt. Jetzt sorgte Albin für Aufregung und
eine erhöhte Auflage: Ein ermordeter Ex-Gardist der Schweizergarde war immer
ein gefundenes Fressen für die Presse. Sofort kramten die Journalisten den
spektakulären Doppelmord von 1998 aus den Archiven. Damals wurden Oberst Alois
Estermann, der Kommandant der Schweizergarde, und seine Frau Gladys Meza Romero
ermordet. Als Täter hatte man Vizekorporal Cédric Tornay ausgemacht. Das Motiv
sei Rache gewesen. Estermann war erst zehn Stunden vor seinem Tod von Papst Johannes
Paul  II . zum Kommandanten gekürt worden.
Tornay, dem selbst wegen schlechter Führung die Verdienstmedaille verweigert worden
war, war daraufhin ausgerastet und hatte sich durch die zwei Morde
Gerechtigkeit verschafft. So jedenfalls hatte es die Garde des Vatikans
ermittelt. Die Öffentlichkeit wollte sich damit nicht zufriedengeben. Alles,
was aus dem Vatikan drang, roch nach mehr, bauschte die Phantasie all jener
auf, denen der Eintritt in die inneren Gemächer versagt blieb.
    Ein Mysterium: ein Staat auf einem Hügel von vierundvierzig Hektaren
gelegen, der undurchsichtiger operierte als fünf Geheimdienste zusammen. Es
blieb nicht aus, dass man hinter der Tragödie um Estermann mehr vermutete:
Homosexualität, Verbindung zur Staatssicherheit der ehemaligen DDR , düstere Rituale von Opus Dei oder die ganz grosse
Weltverschwörung. Es gab sogar Menschen, die vermuteten, dass im Vatikan
Ausserirdische beherbergt wurden.
    Stahl wusste nur: Estermann war am 4. Mai getötet worden. Zwei Tage
später, am 6. Mai 1998, war Stahl als dritter Rekrut zur Fahne der Garde
geschritten, hatte mit der linken Hand die waagrecht gehaltene Stange umfasst
und mit der rechten die drei Finger zum Eid gespreizt. Kaplan Weiss hatte die
Eidesformel vorgelesen:
    «Ich schwöre, treu, redlich und ehrenhaft zu dienen dem regierenden
Papst, Johannes Paul  II ., und
seinen rechtmässigen Nachfolgern, und mich mit ganzer Kraft für sie
einzusetzen, bereit, wenn es erheischt sein sollte, selbst mein Leben für sie
hinzugeben. Ich übernehme dieselbe Verpflichtung gegenüber dem Kollegium der
Kardinäle während der Sedisvakanz des Apostolischen Stuhls. Ich verspreche
überdies dem Herrn Kommandanten und meinen übrigen Vorgesetzten meine Achtung,
Treue und Gehorsam. Ich schwöre, alles das zu beachten, was die Ehre meines
Standes von mir verlangt.»
    Und Stahl hatte wiederholt: «Ich, Rekrut Roger Stahl, schwöre, alles das,
was mir soeben vorgelesen wurde, gewissenhaft und treu zu halten, so wahr mir
Gott und seine Heiligen helfen.»
    «Könnte ich bitte durch?», fragte die Frau vom Fensterplatz, die es
offenbar eilig hatte. Erst jetzt bemerkte Stahl, dass die übrigen Passagiere
bereits ausgestiegen waren.
    «Entschuldigen Sie vielmals, ich war in Gedanken.» Er stand auf und liess
die Frau an sich vorbei. Sie reckte sich zum Gepäckfach, um ihren Koffer
herauszunehmen. Dabei spannten sich die Waden ihrer schlanken Beine zu kleinen
Kugeln, die beige Bluse rutschte aus dem Bund des kurzen Rockes und liess ein
Stück nackter Haut blitzen.
    «Warten Sie, ich helfe Ihnen», sagte Stahl und griff nach ihrem Koffer.
Stahl mass knapp eins neunzig, sein durchtrainierter Körper wirkte trotz der
langen Extremitäten keineswegs schlaksig; vielmehr tänzerisch.
    «Danke», sagte die Frau, nahm den Koffer entgegen und warf einen Blick
auf die silberne Rolex. «Mit der Schweizer Pünktlichkeit ist es auch vorbei.
Das sind ja Verhältnisse.»
    Stahl wusste nicht, ob sie ihn oder den Piloten für die Verspätung des
Flugzeugs verantwortlich machte. Er sah noch mal auf ihre Beine, die hinter dem
schmalen Rollkoffer bei jedem Schritt aufblitzten, und sprang in Gedanken von
ihren Waden zur Boule-Kugel, die Albin erschlagen haben sollte. Dann nahm er
seinen dunkelblauen Trenchcoat, den er sich von Lézard für diesen Sommer
gekauft hatte. Er warf den leichten Mantel lässig über den Unterarm und ging
auf die beiden Stewardessen zu, die ihm einen schönen Aufenthalt in Zürich
wünschten und ihm zum Abschied ein Tablett mit Schokolade entgegenstreckten. Er
griff sich zweimal «Zartbitter» und lächelte dazu doppelt so süss. Dann trat er
auf die Metalltreppe
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