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Mord im Garten des Sokrates

Mord im Garten des Sokrates

Titel: Mord im Garten des Sokrates
Autoren: Sascha Berst
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kalt.
«Weißt du, warum du hier bist, Nikomachos?», fragte er. Ich wunderte mich, dass er meinen Namen kannte.
«Nein, Herr!»
«Das ist gut, das ist sehr gut … », sagte er langsam und nachdenklich, während er wieder zu seinem Thron ging, so als wisse er nicht recht, wie er beginnen sollte.
«Kennst du Periander?», fragte er unvermittelt und drehte sich mir wieder zu.
«Den Olympiasieger? Ja, natürlich. Jeder in Athen kennt ihn. Er hat bei den letzen Spielen zu unserem Ruhm den Stadionlauf gewonnen, vor drei Spartanern und einem Thebaner.»
«Ich sehe, du kennst ihn. Dann weißt du auch, dass seine Familie zu den reichsten und mächtigsten der Stadt gehört und die Demokratie nicht liebt?», sagte Alkibiades und trat wieder ganz nah an mich heran. «Periander ist tot, lieber Nikomachos, leider – erschlagen. Soldaten haben in heute Morgen am Itonia-Tor gefunden.» Er schwieg einen Moment und betrachtete den Fries über uns: ein Wagenrennen mit schwarzen Hengsten, ehrgeizigen Fahrern und goldenen Streitwagen. «Wir sind im Krieg», fuhr er nach einer ganzen Weile fort. «Wir sind im Krieg gegen Sparta, und wir sind im Krieg gegen uns selbst. Den Krieg gegen Sparta würden wir gewinnen, wenn wir uns nur einig wären, so wie wir den Krieg gegen die Perser gewonnen haben, als uns mit Sparta noch Freundschaft verband. Aber du weißt, dass wir Athener uns nicht einig sind … Die alten, reichen Familien würden nichts lieber tun, als die Demokratie zu stürzen – sofort. Sie kennen keine Bedenken, sie haben keine Skrupel. Aber sie sind noch nicht so weit. Auch sie sind sich nicht einig. Die einen wollen die offene Auseinandersetzung mit uns, die anderen warten ab und machen ihre Geschäfte. Wehe aber, sie bekommen einen Anlass loszuschlagen, ein Ereignis, das sie verletzt und empört und – vereint … Warst du schon einmal im heißen Sommer in einem Wald, wenn es seit Monaten nicht geregnet hat? Die Bäume und Sträucher sind trocken. Die Luft schwirrt vor Hitze. Du weißt, ein einziger Funke genügt und alles steht in Flammen. So ist es in unserer Stadt. Athen ist wie der trockene Wald. Ein einziger Funke genügt», er schnipste mit den Fingern, «und wir haben den verheerendsten Brand, den es nur gibt: den Bürgerkrieg, den Bruderkrieg. Die Aristokraten bewaffnen ihre Sklaven, verbünden sich mit Sparta und öffnen dem Feind die Tore.» Wieder legte er eine lange Pause ein. Er nahm mein Gesicht zwischen die Hände, als wollte er mich küssen, und sah mir eindringlich in die Augen. Trotzdem vermochte ich in seinem Blick kein Gefühl zu erkennen.
«Perianders Tod, Herr der Bogenschützen, kann dieser Funke sein: Periander, der Olympiasieger, ihr hoffnungsvollster Spross. In den nächsten Tagen sind sie vor Schmerz und Schrecken gelähmt, aber bald weicht ihre Trauer, und sie weicht der Wut. Sie werden uns und die Demokratie für seinen Tod verantwortlich machen …» Wieder eine Pause, während deren er mich nicht aus den Augen ließ. Er stand so nah bei mir, dass ich seinen Atem roch.
«Du, Nikomachos, du kannst das verhindern», sagte er dann.
Meine Knie begannen zu zittern.
«Wie sollte ich das tun, Herr?», fragte ich und senkte das Haupt.
«Du wirst den Mörder suchen. Du wirst ihn finden und der Familie übergeben. Das wirst du tun, mein lieber Nikomachos. Wir werden ihnen zeigen, dass ihr Verlust unser Verlust ist, ihr Schmerz unser Schmerz, ihre Rache unsere Rache. Das wird sie besänftigen gegen uns.»
Er blieb wie versteinert vor mir stehen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, meine Zunge klebte an meinem Gaumen und wollte sich kaum lösen. Alkibiades lächelte zufrieden, wandte sich ab und setzte sich auf seinen Thron. Ich wagte kaum zu atmen.
«Hast du keine Fragen?», meinte er nach einer Weile.
«Doch, gewiss», stammelte ich und nahm meinen ganzen Mut zusammen: «Was, wenn der Mörder ein Demokrat ist?»
Alkibiades blieb gelassen: «Dann werden wir ihn der Familie erst recht übergeben. Sie werden sehen, dass wir den Mörder ausspeien aus dem Körper des Volkes. Das ist der einzige Weg.»
Ich verstand und fuhr, durch Alkibiades’ Freundlichkeit unvorsichtig geworden, fort: «Was, wenn ich ihn nicht finde, Herr?»
Der Hegemon erstarrte. Seine Augen verengten sich, in seinen Blick trat etwas Fiebriges.
«Das wird nicht geschehen», antworte er leise, und ich fragte nicht weiter.
Alkibiades winkte dem Beamten zu, der mich zu ihm geführt hatte. Er kam zu uns, den Blick immer noch zu Boden
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