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Mord im Bergwald

Mord im Bergwald

Titel: Mord im Bergwald
Autoren: Nicola Förg
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Kathi: »Dann pack ma's. Wir sollten die Vermisstenkarteien ansehen. Irgendwas müssen wir ja tun.«
    Kathi nickte und ging auf den Pick-up zu. Irmi zögerte.
    »Ich glaub, ich geh zu Fuß. Den Kopf lüften.«
    Kathi sah sie an, als wäre sie dem galoppierenden Wahnsinn anheimgefallen. Freiwilliges Laufen?
    »I kimm mit. I muaß eh oi und ebbas holn«, sagte Vitus, und Irmi war irgendwie erleichtert.
    »Des is a koa schener Beruf«, meinte Vitus, nachdem sie bereits zwanzig Minuten unterwegs waren.
    »Na ja«, meinte Irmi. »Ja und nein. Man sieht viele Tragödien, aber man kann einigen Opfern zu etwas Seelenruhe verhelfen.«
    »Und du selber bleibscht auf dr Streckn«, erwiderte Vitus in seiner bemerkenswert schlichten Art. Es bedurfte keiner großen Worte, keiner Ratgeberbücher. Einige klare Sätze genügten, um das Leben zu begreifen.
    »Man überlebt alles, man muss«, murmelte Irmi nach einer Weile.
    »Aber des gibt Narben und Wunden«, sagte Vitus, der in einer Kehre angehalten hatte und Irmi einen Flachmann reichte.
    Irmi testete. »Vogelbeer?«, fragte sie lächelnd.
    »Ja, gut rausg'schmeckt.«
    Sie blickten eine ganze Weile über die Baumkronen hinweg ins Tal.
    »Du hast schon recht. Es gibt Wunden. Die heilen zu. Es sind die mit dem dicken Schorf«, sagte Irmi schließlich.
    Vitus nickte. »Ja, den ma ganz leicht obkratzn kann. Oder der in der Badwanne 'derwoacht. Und ois is wieder offen.«
    Irmi lächelte wehmütig.
    »Bischt scho vergebn?«, fragte Vitus nach einer langen Weile. »Du bischt a netter Hund.«
    Irmi lachte. »Danke fürs Kompliment.«
    War sie vergeben? Nicht im landläufigen Sinn. Aber ihr Herz war vergeben, auch wenn er nur ihr Herz, ihre Seele und ihren Geist regierte. Nicht ihren Alltag. Sie liebte ihn. Er begleitete sie auf allen Wegen, in allen Gedanken. Sie trug ihn bei sich und wusste, dass er auch sie bei sich trug. Das Leben war so fragil. Und so endlich. Diese Endlichkeit ließ sie leiser werden. Sie sah in die Berge, hinüber in die grünen Wiesenhänge, die in solchem Kontrast standen zum Karwendelgrau. Heute waren ihre Gefühle voller Klarheit und Reinheit. Daswar nicht immer so. Sie litt öfter, als ihr lieb war.
    »Vergebn?«, fragte er nochmals mit einem schiefen Lächeln. »Die Guadn san des oiwei.«
    »Ja, schon«, sagte Irmi und ließ offen, worauf sich ihre Antwort bezog.
    »Der soll auf di aufpassn«, sagte Vitus. »So was wie di kriagst so schnell nimma ... So, und jetzt?«
    »Ich fahr nach Garmisch. Wir müssen die Ergebnisse der Spusi abwarten. Und du?« Irmi lächelte ihn an.
    »I geh wieder aui.«
    »Wenn dir noch was auffällt, melde dich bitte«, sagte Irmi. »Macht ihr denn weiter mit dem Pflanzentragen?«
    »I bestimmt, was der Orlowski macht, woaß i ned.« Er schnippte ganz kurz mit dem Zeigefinger zum Gruß, wandte sich um und war in der Sägerei verschwunden.
    Kathi lehnte rauchend am Pick-up.
    »Und, gut gewandert?«, fragte sie.
    Irmi nahm zu ihren Gunsten an, dass das keine Provokation war, sondern einfach eine Frage. Deshalb nickte sie nur.
    »Dann sehen wir uns gleich in Garmisch, oder?«
    Sie stiegen in ihre Autos: Kathi startete wie immer durch, und Irmi fuhr geruhsam hinterher.

3
    Kathi saß schon am Computer, als Irmi eintraf. Klar, Kathi fuhr wie eine Wildsau. Irmi stellte sich einen Stuhl daneben und warf ebenfalls einen Blick auf die Vermisstenlisten.
    Es war beklemmend, dass Menschen so einfach und spurlos verschwinden konnten. Die meisten waren Teenager, die man oft auf den Straßen der Großstädte auflas. Vermisste Mädchen verhießen nichts Gutes, und vermisste Kinder waren das Schlimmste, weil in den seltensten Fällen ein Happy End zu erwarten war.
    In ihrer Gegend wurde aktuell niemand vermisst. Kathi hatte bereits E-Mail-Kontakt zu ihren Kollegen in Österreich aufgenommen. Vielleicht stammten die Körperteile ja von einem Bergsteiger, der schon länger abgängig war, dachte Irmi.
    Was gab es nicht alles an bizarren Möglichkeiten der Konservierung – manche spuckte das Eis schließlich erst fünftausend Jahre später aus. Irmi war erst kürzlich in Bozen gewesen und hatte sich in den Pilgerstrom vor der Glasscheibe eingereiht, hinter der Ötzi zu sehen war. Was war es bloß, was die Menschen so daran faszinierte? Vielleicht, dass er ein normaler Mann gewesen war, der mitten aus dem Leben gerissen worden war, kein einbalsamierter König, nein, ein Händler. Und ein uralter Sack für seine Zeit! Mitte vierzig oder gar fünfzig. Im
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