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Mord, der keiner sein durfte

Mord, der keiner sein durfte

Titel: Mord, der keiner sein durfte
Autoren: H Wille
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zweifelsfrei von Dr. Barschel herrührte, zur Verfügung.
    Die vorbezeichneten handschriftlichen Aufzeichnungen sind ferner beim Institut für Psychologie der Christian-Albrechts-Universität Kiel durch Professor Dr. Dr. Wegener begutachtet worden. Dabei sollte die Frage untersucht werden, ob es aus sachverständiger Sicht möglich sei, eine Aussage dahin gehend zu treffen, ob die Aufzeichnungen als »Gedächtnisstütze« für eine Aussage vor dem Untersuchungsausschuss zu werten sind oder ob diese dazu bestimmt waren – nach dem Tode –, von Dritten gefunden und zur Kenntnis genommen zu werden.
    Der Gutachter stellt fest, dass Hinweise auf eine Selbstrechtfertigung des eigenen Verhaltens bzw. in Bezug auf die zu erwartenden Vorwürfe fehlen. Die Darstellung entbehre (jedoch) vieler für einen Untersuchungsausschuss bedeutsamer Details. Es sei unwahrscheinlich, dass die vorliegenden Notizen als Stichwortunterlagen für die Anhörung in einem Untersuchungsausschuss geschrieben worden seien. Die These, die Nachwelt als Adressat der Notizen vorgesehen zu haben, finde ebenfalls wenig Unterstützung in dem Text. Es seien eindeutige Hinweise auf eine Suizidabsicht bzw. Suizidstimmung nicht aufzufinden.
    Klassische Signale für einen Bilanzselbstmord, ebenso wie auch für eine aus der depressiven Stimmung heraus entstandene Selbsttötungsabsicht fehlen danach. Es gäbe ferner keine Merkmale in den Notizen für eine beabsichtigte Vortäuschung einer Selbsttötung als Fremdeinwirkung. Schließlich seien auch Anzeichen für eine reale oder nur eingebildete Bedrohung im Sinne eines physischen Angriffs auf die Person Dr. Uwe Barschels nicht erkennbar. Psychologisch sei die Möglichkeit zu erwägen, dass der Schreiber in der Absicht begonnen habe, Stichworte für seine Anhörung im Untersuchungsausschuss anzufertigen, dass diese Absicht dann jedoch aufgegeben bzw. vernachlässigt wurde zugunsten einer mehr tagebuchmäßigen Berichterstattung. Ein solcher Wandel der Zielvorstellung über den Adressaten bzw. den Zweck der Notizen müsse nicht als pathologisches Anzeichen im Sinne gestörter Denkvorgänge interpretiert werden.
    Das bedeutet: Die Urheberschaft Uwe Barschels an diesen Zeilen ist so gut wie zweifelsfrei geklärt, ein höherer Wahrscheinlichkeitsgrad als »mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit« wird üblicherweise bei Schriftgutachten nicht verwendet. Es erscheint auch eher unwahrscheinlich, dass Uwe Barschel bereits auf dem Flug angefangen hat zu schreiben und nicht erst alles im Zusammenhang im Hotel – Kugelschreiber und Strichidentität sprechen jedenfalls dafür.
    Um überhaupt mögliche Schlüsse aus dem Inhalt und der Form dieser letzten Zeilen ziehen zu können, war die Feststellung der Urheberschaft unerlässlich. Darüber hinaus ging es darum, vor dem Hintergrund der diskutierten Selbstmordthese die wohl letzten Zeilen Uwe Barschels in diesem Zusammenhang zu gewichten und zu werten. Wird jemand, der sich zu einem Selbstmord entschlossen hat, die letzten Zeilen in dieser Weise abfassen – selbst wenn er verbergen will, dass es sich um einen Selbstmord handelt, und die Legende in die Welt setzen will, dass es sich um einen Mord gehandelt habe? Diese aus heutiger Sicht fast absurde Fragestellung war seinerzeit vor dem Hintergrund der veröffentlichten Meinung der entscheidende Punkt der Auseinandersetzung; eine Hypothek, unter der das spätere Ermittlungsverfahren auch zu leiden hatte. Es ging also um die Frage, ob in diesen Zeilen möglicherweise Anhaltspunkte für suizidale Tendenzen, also versteckte Hinweise auf Selbstmordabsichten, gefunden werden konnten.
    In einem 15-seitigen Gutachten verneint Professor Herrmann Wegener , der als Gutachter gewonnen werden konnte, diese Frage. Solch ein Gutachten kann man natürlich nur ganz vorsichtig erstellen; die Schlussfolgerungen sind nicht naturwissenschaftlich sicher. Aber immerhin: Wegener hat diese Aussage getroffen und das hat einiges Gewicht.
    Wer war der inzwischen verstorbene Professor Wegener? Er war von 1963 bis 1983 Direktor des Instituts für Psychologie an der Kieler Christian-Albrechts-Universität. Als Gerichtsgutachter hat er in einer Unzahl von Fällen die Persönlichkeit von Straftätern beurteilt und über die Glaubwürdigkeit der Aussagen von Angeklagten und Zeugen seine Gutachten erstellt. Diese Tätigkeit hat er auch nach seiner Emeritierung 1983 fortgesetzt und in spektakulären Prozessen nicht selten die Entscheidung des Gerichtes mitbestimmt.
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