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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan
Autoren: Boris Akunin
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ganz ordentlich. Ein charakteristisches Detail – er stotterte leicht. Das Abzeichen trug er wieder nicht. Am meisten interessierte er sich für den Japaner, dem er lauter langweilige Fragen über Japan stellte, aber der Samurai antwortete vorsichtig, als argwöhne er eine Falle. Der Neuling hatte nämlich der Gesellschaft nicht erklärt, wohin er reiste und weswegen, er hatte einfach seinen Namen genannt und gesagt, daß er Russe sei. Der Kommissar hatte Verständnis für die Wißbegier Fandorins, der ja auf dem Weg nach Japan war. Coche stellte sich vor, daß dort alle so aussahen wie Monsieur Aono, alle in Puppenhäuschen mit geschwungenen Dächern wohnten und sich aus kleinstem Anlaß den Bauch aufschlitzten. Tja, zu beneiden war der Russe nicht.
    Nach dem Abendessen setzte sich Fandorin abseits, um eine Zigarre zu rauchen. Der Kommissar nahm im Nebensessel Platz und paffte seine Pfeife. Er hatte sich zuvor dem Russen als Pariser Rentier vorgestellt, der aus Neugier den Orient bereise (diese Legende hatte er sich zurechtgelegt). Jetzt tastete er sich an die eigentliche Sache heran, aber von weit her, sehr behutsam. Er spielte mit dem goldenen Wal an seinem Revers (den er aus der Rue de Grenelle hatte) und sagte wie beiläufig, um eine Unterhaltung anzuknüpfen: »Hübsches Ding, finden Sie nicht?«
    Fandorin warf einen Blick auf das Revers und sagte nichts.
    »Reines Gold. Schick!« lobte Coche.
    Wieder erwartungsvolles Schweigen, doch durchaus höflich. Der Mann wartete einfach, was folgen würde. Die hellblauen Augen blickten aufmerksam. Der Diplomat hatte eine schöne Pfirsichhaut, rosa überhaucht wie bei einem jungen Mädchen. Aber ein Muttersöhnchen war er nicht, das war gleich zu erkennen.
    Der Kommissar wechselte die Taktik.
    »Sie sind viel auf Reisen?«
    Indifferentes Achselzucken.
    »Sie sind doch wohl im diplomatischen Dienst?«
    Fandorin neigte höflich das Haupt, zog eine lange Zigarre aus der Tasche und schnitt mit einer kleinen silbernen Schere die Spitze ab.
    »Waren Sie schon in Frankreich?«
    Wieder ein bejahendes Neigen des Hauptes. Ein spannender Gesprächspartner ist der Russe nicht, dachte Coche, aber er gab nicht auf.
    »Ich liebe Paris ganz besonders im Frühjahr, im März«, sagte er träumerisch. »Das ist die schönste Jahreszeit.«
    Er sah sein Visavis scharf an – was würde der Mann sagen?
    Fandorin nickte zweimal. Es war ungewiß, ob er nur zur Kenntnis nahm oder beipflichtete. Coche spürte Gereiztheit und runzelte feindselig die Stirn.
    »Sie mögen das Abzeichen also nicht?«
    Die Pfeife zischte und erlosch.
    Der Russe holte kurz Luft, griff mit zwei Fingern in die Westentasche, holte den goldenen Wal heraus und geruhte nun endlich den Mund aufzumachen.
    »Ich sehe, mein Herr, Sie interessieren sich für mein A-abzeichen. Hier ist es, bittesehr. Ich trage es nicht, weil ich nicht wie ein Hausmeister mit Blechmarke aussehen möchte, auch wenn sie aus Gold ist. Erstens. Wie ein Rentier wirken Sie nicht, Monsieur Coche, Ihr Blick flitzt zu sehr herum. Und warum sollte ein Pariser Rentier ständig eine amtliche Mappe mit sich herumtragen? Zweitens. Wenn Sie über die Art meiner Beschäftigung Bescheid wissen, müssen Sie Z-zugang zu den Reedereiunterlagen haben. Ich vermute, Sie sind ein Detektiv. Drittens. Und jetzt viertens: Wenn Sie etwas von mir wissen wollen, reden Sie nicht um den heißen Brei herum, sondern kommen Sie zur Sache.«
    Mit solch einem sollte man nun reden!
    Coche mußte sich herauswinden. Vertraulich raunte er dem überaus scharfsinnigen Diplomaten zu, er sei Schiffsdetektiv und habe über die Sicherheit der Passagiere zu wachen – doch diskret und möglichst taktvoll, um die Gefühle des erlesenen Publikums nicht zu verletzen. Ob Fandorin ihm glaubte, stand dahin, doch der fragte nicht weiter.
    Jedes Schlechte hat auch sein Gutes. Der Kommissar hatte wenn nicht einen Gleichgesinnten, so doch einen Gesprächspartner gewonnen, der überdies eine erstaunliche Beobachtungsgabe besaß und in der Kriminologie bestens Bescheid wußte.
    Fortan saßen sie recht oft selbzweit an Deck, blickten auf das sanft abfallende Kanalufer, rauchten (Coche seine Pfeife, der Russe Zigarre) und plauderten über interessante Themen. Zum Beispiel über moderne Methoden zur Identifizierung und Entlarvung von Verbrechern.
    »Die Pariser Polizei arbeitet nach dem letzten Stand der Wissenschaft«, prahlte Coche einmal. »Die Präfektur hat einen speziellen ›service
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