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Mord am Vesuv

Mord am Vesuv

Titel: Mord am Vesuv
Autoren: John Maddox Roberts
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Entscheidendes enthält«, erwiderte ich frustriert.
    »Würdest du uns denn an deiner Erkenntnis teilhaben lassen?«, entgegnete er so beiläufig, dass der Hohn in seiner Stimme nicht zu überhören war. Er machte eine lange Pause, kostete mein Schweigen aus und fragte dann: »Gibt es irgendeinen Grund, die Beratungen der Geschworenen noch weiter hinauszuzögern?«
    »Nein«, gab ich mich geschlagen.
    Während die Geschworenen sich in die Basilika zurückzogen, brütete ich über dem Testament. Hier musste die Antwort zu finden sein! Ich spürte es förmlich, und es war meine letzte Hoffnung. Als ich nicht weiterkam, fragte ich mich, warum ich mir die ganze Sache überhaupt so zu Herzen nahm. Was bedeutete mir schon der Sohn eines Sklavenhändlers? Und was verleitete mich dazu, an seine Unschuld zu glauben? Lag es wirklich nur daran, dass er so einen angenehmen ersten Eindruck auf mich gemacht hatte und ich Diocles und all die anderen, die in diese Geschichte verwickelt waren, so gering schätzte? Die rote Tinte und die griechische Schrift, in der das Testament verfasst war, kamen mir bekannt vor, doch als die Geschworenen zurückkamen, gab ich auf und legte es resigniert aus der Hand.
    »Sie sind ziemlich schnell zu einem Ergebnis gekommen«, stellte Hermes fest. »Das ist ein schlechtes Zeichen.« Als ob ich das nicht selber gewusst hätte!
    Ich erhob mich. »Sprecher der Geschworenen, wie lautet euer Urteil?«
    Der Mann trat vor und kippte das Gefäß mit den Stimmtäfelchen auf den Tisch des Gerichtsgehilfen. In Baiae verwendete man eine Abwandlung des griechischen ostrakon.
    Statt mit Tonscherben stimmten die Geschworenen mit kleinen Keramikscheiben ab, die etwa die Größe von Jakobsmuscheln hatten: weiße Scheiben für unschuldig, schwarze für schuldig.
    Alle Scheiben auf dem Tisch waren schwarz. »Wir befinden den Angeklagten des Mordes an Gorgo, der Tochter des Diocles, Priester des Tempels des kampanischen Apollo, für schuldig.«
    Gelon erblasste. Seine normalerweise dunkle Gesichtsfarbe verwandelte sich in ein schmutziges Gelbgrau. Eine Kreuzigung und den Kampf gegen die Löwen hatte ich zwar ausgeschlossen, aber auch die Aussicht auf eine ehrenhafte Enthauptung ist alles andere als angenehm.
    In dem Bewusstsein, den Unmut der Menge auf mich zu ziehen, die Ge-lon am Kreuz oder in der Arena sehen wollte, stand ich auf, um gerade mein Urteil zu verkünden, als Julia mich am Arm zupfte und auf das neben mir liegende Testament zeigte. »Es ist von derselben Hand geschrieben wie dieses anstößige Gedicht«, flüsterte sie mir zu.
    Wie im Frühling auf einem germanischen Fluss das Eis bricht, so löste sich die Blockade in meinem Kopf, und die einzelnen Teile meines Ge-dankenkonstrukts begannen sich neu zu ordnen.
    Völlig neue Möglichkeiten wurden denkbar. Natürlich war immer noch nicht alles klar, aber ich wusste, dass ich jetzt alle Teile des Puzzles beieinander hatte und sie nur noch richtig zusammenfügen musste. Jetzt brauchte ich nur noch eins: Zeit, aber die war unwiderruflich abgelaufen. Plötzlich fiel mir ein, was ich zu Beginn des Prozesses über die zeitliche Begrenzung gesagt hatte. Ich blinzelte zur Sonne hinauf und stellte fest, dass es erst kurz nach Mittag war.
    »Die Geschworenen haben gesprochen«, verkündete ich, »und der römischen Gerechtigkeit wird Genüge getan. Ich werde mein Urteil bei Sonnenuntergang verkünden.«
    Aus der Menge erhoben sich laute Rufe der Überraschung.
    Warum, so der allgemeine Tenor, brauchte ich mehrere Stunden, um einen für schuldig befundenen Mörder ans Kreuz nageln zu lassen?
    »Was soll diese Verzögerung?«, fragte Vibianus. Neben ihm stand Dio-cles mit wutverzerrtem Gesicht.
    »Ich habe bestimmt, dass das Urteil vor Sonnenuntergang zu fallen hat, und das wird es auch! Und jetzt will ich nichts mehr hören! Hiermit erkläre ich der Prozess für unterbrochen und ordne die Auflösung der Versammlung an! Geht nach Hause, und versammelt euch bei Sonnenuntergang wieder auf diesem Platz, um mein Urteil zu hören. Sublicius Pansa, sorg dafür, dass das Forum umgehend geräumt wird und deine Männer auch in den Straßen präsent sind. Jede Ansammlung von mehr als vier Menschen ist sofort aufzulösen.«
    Aus der Menge schlugen mir Rufe der Empörung entgegen, die mich des schlimmsten Amtsmissbrauchs bezichtigten.
    »Wenn sich auch nur einer widersetzt«, donnerte ich und zeigte auf den in der Ferne qualmenden Vesuv, »kann er nur hoffen, dass der Vulkan
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