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Mord am Oxford-Kanal

Mord am Oxford-Kanal

Titel: Mord am Oxford-Kanal
Autoren: Colin Dexter
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Arbeitersiedlungsbau: Umsetzung großartiger Werte in
bescheidenstem Rahmen.
     
    James
Stevens Curl, The Erosion of Oxford
     
     
    Lewis hatte zwei große
Schwächen, und zwar erstens für schnelles Fahren und zweitens für Eier mit
Pommes frites. So sagte er denn auch sofort zu, als Morse ihn bat, ihn mit dem
Lancia nach Derby zu chauffieren — und das, obwohl es sein freier Tag war. Der
Wagen besaß eine starke Maschine, und der Gedanke, auf der M1 so richtig Gas zu
geben, versetzte Lewis in einen euphorieähnlichen Zustand. Der Chief Inspector
hatte seinem Sergeant gleich gesagt, um was es ging, nämlich herauszufinden, ob
es die Spring Street noch gab. Sie mußte am nördlichen Stadtrand von Derby
liegen.
    «Lassen Sie mich einfach
machen, Lewis, das ist alles, was ich von Ihnen möchte.»
    Er hatte den Sergeant nicht
lange zu bitten brauchen. Der erinnerte sich nämlich noch sehr gut daran, was
für ein erhebender Moment es in seinem Leben gewesen war, als er erfahren
hatte, daß Morse gegenüber der Polizeispitze den Wunsch geäußert hatte, mit
ihm, Lewis, zusammenzuarbeiten, weil ihm — angeblich — in seiner Gegenwart die
besten Gedanken kämen. Und während er jetzt den Lancia nach rechts auf die
Überholspur zog, um aus ihm herauszuholen, was möglich war, spürte Lewis wieder
tiefe Dankbarkeit, daß ihn ein gütiges Geschick an die Seite des Chief
Inspectors gestellt hatte. Die Fahrt nach Derby war natürlich, dessen war er
sich ziemlich sicher, völlig sinnlos. Aber schließlich unternahmen viele
Menschen vieles, was sinnlos war — und nicht nur in Oxford.
     
     
    Obwohl Morse an einem
Zeitungskiosk im Norden Derbys einen Stadtplan erstanden hatte, erwies es sich
als überraschend schwierig, die Spring Street zu finden. Morse spürte, wie er
zunehmend gereizter wurde, während Lewis Mal um Mal sein Fenster
herunterkurbelte, aber von den Passanten auf seine Frage nach der Spring Street
entweder nur ein Kopfschütteln oder aber höchst widersprüchliche Angaben
erhielt. Allen Widrigkeiten zum Trotz gelangten sie schließlich doch in die
richtige Gegend, zu einem ausgedehnten, durch einen Bauzaun abgesperrten Areal,
bei dem es sich, wie mehrere Stelltafeln verkündeten, um den
«Derby-Sanierungskomplex» handelte. Zwei riesige gelbe Kräne schwenkten ihre
Ausleger über einem guten Dutzend Abrißarbeiter.
    «Wahrscheinlich kommen wir
schon zu spät», unkte Lewis.
    «Das macht dann auch nichts»,
entgegnete Morse. «Ich habe Ihnen doch gesagt, es handelt sich lediglich um
eine Art Experiment.» Morse kurbelte sein Fenster herunter und sprach einen der
staubbedeckten Arbeiter an.
    «Ist die Spring Street schon
flachgelegt?»
    «Dauert nicht mehr lange,
Kumpel», erwiderte der Mann und deutete vage in Richtung auf den übernächsten
Block von Reihenhäusern.
    Morse, den das vertrauliche
«Kumpel» geärgert hatte, kurbelte sein Fenster ohne ein Wort des Dankes wieder
hoch und bedeutete Lewis mit einer ebenfalls vagen Geste, in welche Richtung er
fahren solle. Der tat, wie ihm geheißen, ein paar Straßen weiter hielt er
hinter einem Baucontainer. Eine noch sehr junge, farbige Frau, die einen
Kinderwagen schob, bestätigte Morse, ja, dies sei die Spring Street. Die beiden
Männer stiegen aus und blickten sich um.
    Vielleicht hatte die Gegend vor
Jahrzehnten bessere Zeiten gesehen, doch vom jetzigen Zustand her schien es
kaum vorstellbar, daß je eines der Häuser in dieser schäbigen Straße einmal das
Attribut «komfortabel» oder «attraktiv» verdient gehabt hätte. Sie waren
augenscheinlich Anfang des 19. Jahrhunderts erbaut, viele waren inzwischen
schon halb verfallen, und bei etlichen anderen hatte man die Haustüren mit
Brettern vernagelt, um Stadtstreichern und Hausbesetzern den Zutritt zu
verwehren. Ein paar der Häuser mußten jedoch noch bewohnt sein, da hie und da
Rauch aus einem der schmalen gelben Schornsteine stieg und hinter einigen
Fenstern auch noch weiße Spitzengardinen hingen. Angeekelt betrachtete Morse
die eingedrückten Bierdosen und die achtlos weggeworfenen
Fisch-und-Chips-Verpackungen, die auf dem Bürgersteig herumlagen. Langsam ging
er die Straße hinunter, bis er schließlich vor einer einstmals blaugestrichenen
Tür stehenblieb. In der rechten oberen Ecke zeigte ein kleines Schild die
Nummer zwanzig. Nummer zwölf mußte also vier Häuser weiter sein. Es war das
Eckhaus. An seiner linken Seitenwand hing noch immer ein Straßenschild mit der
Aufschrift «Burton Road»,
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