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Mops und Möhren

Mops und Möhren

Titel: Mops und Möhren
Autoren: Silke Porath
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Frage.« Helene Jirak reicht Arne ein Heft über den Tisch.
    »Seite 42«, sagt sie. Arne blättert im Heft. Alice gibt der Spritze einen lahmen Stoß mit der Tatze.
    »Sieben senkrecht.« Frau Jirak beugt sich zu Arne und tippt auf die Seite. »Anderes Wort für Genesis.«
    Coole Band, denke ich.
    »Wie viele Buchstaben?«, fragt Arne. Frau Jirak zählt mit dem Finger nach.
    »Dreizehn.«
    »Deuteronomium«, schnurrt Arne. Alice schnurrt meine Hand an. Helene schnurrt Arne an.
    »Sie wissen wirklich alles, Herr Doktor!«
    Ich schnaube die Luft an. Alice wackelt mit der Schwanzspitze hin und her.
    »Will die Schwester denn keinen Kaffee?« Helene Jirak gießt Arne nach. Obwohl die Tasse noch halb voll ist. Und der lässt es geschehen. Obwohl er aufgegossenen Kaffee nicht mag.
    »Die Schwester«, sage ich, »würde gern mal mit dem Herrn Doktor reden.« Ich weiß, dass ich giftig klinge. Frau Jirak schaut auch sehr besorgt drein.
    »Ist was mit meiner kleinen Alice?«
    »Sicher nicht, Frau Jirak«, kommt Arne mir zuvor und legt der alten Dame beruhigend eine Hand auf den Arm. Die atmet erleichtert aus, schnappt sich einen Kugelschreiber und füllt das Kreuzworträtsel aus.
    »Kaffeepause!«, ruft sie dann. Machen wir doch schon, denke ich.
    »Kaffeepause kommt raus!«, freut sich die Jirak.
    »Was können Sie denn gewinnen?«, fragt Arne und tut so, als trinke er einen Schluck lauwarme Kaffeebrühe.
    »Ein Teeservice für zwei Personen.« Helene Jirak dreht die Zeitschrift so, dass auch ich den Hauptgewinn sehen kann.
    »Toll.« Okay, klingt nicht begeistert. Ist es auch nicht gemeint.
    »Blutdruck ist okay«, lege ich nach.
    »Wunderbar«, sagt Arne und steht auf. »Dann sollte die Patientin heute leichte Kost zu sich nehmen.«
    Frauchen auch, denke ich, verkneife mir aber jeden Kommentar. Stattdessen werfe ich die Plastikspritze auf den Teppich. Alice zögert einen Moment, dann springt sie hoch – ich frage mich immer wieder, wie Katzen so was hinbekommen – , ist mit einem Satz auf dem Teppich und kickt die Spritze mit den Pfoten hin und her.
    »Danke, Herr Doktor.« Helene Jirak strahlt. Ich klappe den Notfallkoffer zu.
    »Wollten Sie gar nichts Süßes?«, fragt Frauchen und reicht mir die Kuchenplatte. Ich schüttele verneinend mit dem Kopf.
    »Mein Blutdruck ist zu hoch«, sage ich und gifte dabei Arne an. Der grinst. Aber nur, bis wir im Aufzug stehen. Dann keife ich los. Im dritten Stock bin ich so laut wie noch nie in unserer Beziehung. Im Erdgeschoss legt Arne trotz allem den Arm um meine Schulter.
    »Eins musst du wissen«, sagt er. »Ein guter Tierarzt behandelt in erster Linie die Besitzer.«
    »Ach ja, mit Mohnschnecken und Kreuzworträtseln?« Ich kann meine Wut kaum im Zaum halten. Ich fühle mich vorgeführt. Vereiert. Komplett.
    »Nein, in diesem Fall mit Aufmerksamkeit«, sagt Arne und drückt mir einen Kuss auf den Mund, ehe ich etwas keifen kann. Kaum haben seine Lippen meine berührt, da macht es Puff und mein Ärger verraucht. Mistkerl!
     
    Von mir aus hätten Arne und ich das restliche Jahr – immerhin noch 364 Tage – unter den sanften Blicken der Dame im Tiffanyglas-Fenster über meinem Bett verbringen können. Wir schafften aber gerade mal zwei Tage, ehe der Alltag nach uns krallt. Das heißt: Als Erstes krallt Mudel nach uns. Im Gegensatz zu Earl, der über ein phänomenales Blasenvolumen verfügt und schon mal länger als zwölf Stunden dicht hält, hat sein Sprössling regelmäßig ein dringendes Bedürfnis. Und nimmt dabei – Kinder eben! – keinerlei Rücksicht auf schwer verliebte Tierärzte und deren Partnerin, die sich wohlig in den Laken räkeln. Selbst die Aussicht, das Pipi in der Eiseskälte des Januarmorgens zu verrichten, die Pfötchen im Schneematsch steckend, konnten Mudels Blase nicht überzeugen. Tja, und dann war da noch der Rettungswagen, der sich nun mal nur mit regelmäßigen Einsätzen finanzieren ließ. Und meine beiden Jungs, die die ersten drei Monate des Jahres sämtliche Gartencenter, Baumärkte und Kataloge für Pflanzenbedarf abcheckten.
    Tante Trude hatte immer gejammert, wie schnell die Zeit verfliegt. Damals, ich war zehn oder elf Jahre alt und ein unendlich langer Sommer lag vor mir, konnte ich sie nicht verstehen. Die regelmäßigen Ausrufe: »Kinder, wie die Zeit verfliegt!« waren für mich nichts weiter als eine Art Stundengebet einer uralten Frau. Anderthalb Jahrzehnte später stehe ich eines Morgens in der Küche, zupfe das Kalenderblatt ab,
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