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Monuments Men

Monuments Men

Titel: Monuments Men
Autoren: Robert M. Edsel
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Bestimmungen der Nürnberger Gesetz von 1935, nach denen Juden die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt und ihnen der Großteil der Bürgerrechte verwehrt wurde, vorläufig nicht angewandt. Doch Harry musste in der Schule in der letzten Reihe sitzen, und seine schulischen Leistungen verschlechterten sich deutlich. Das war nicht die Folge von Ausgrenzung oder Einschüchterung – die gab es auch, aber Harry wurde nie von Klassenkameraden misshandelt oder verprügelt. Es hatte vielmehr mit den Vorurteilen seiner Lehrer zu tun.
    Zwei Jahre später, 1937, wechselte Harry auf eine jüdische Schule. Kurze Zeit später erhielten er und seine beiden jüngeren Brüder ein überraschendes Geschenk: Sie bekamen Fahrräder. Die Firma der Gebrüder Ettlinger war bankrottgegangen, nachdem ein Boykott gegen jüdische Geschäfte verhängt worden war, und sein Vater arbeitete nun bei Opa Oppenheimer in dessen Textilunternehmen. Harry wurde das Radfahren beigebracht, damit er sich in Holland bewegen konnte, wohin die Familie auswandern zu können hoffte. Die Familie seines besten Freundes versuchte nach Palästina zu emigrieren. Fast jeder, den Harry kannte, wollte Deutschland verlassen. Dann kam die Nachricht, dass der Antrag der Familie Ettlinger abgelehnt worden war; die Auswanderung nach Holland war ihnen verwehrt. Kurz darauf stürzte Harry mit seinem Fahrrad, aber das Krankenhaus in der Stadt weigerte sich, ihn aufzunehmen.
    Es gab zwei Synagogen in Karlsruhe, und die Mitglieder der Familie Ettlinger, die sich nicht als strenggläubige Juden verstanden, besuchten die weniger orthodox ausgerichtete. Die Synagoge in der Kronenstraße war ein großes, schmuckes, hundert Jahre altes Gebäude. Der Gebetsbereich erstreckte sich über vier Stockwerke, über denen sich mehrere kunstvoll verzierte Kuppeln erhoben – vier Stockwerke war die maximal zulässige Höhe, denn kein Gebäude in Karlsruhe durfte höher sein als der Turm des Schlosses von Karl Wilhelm. Die Männer, die gebügelte schwarze Anzüge und schwarze Zylinder trugen, saßen auf langen Bänken in der untersten Abteilung, die Frauen auf den oberen Emporen. Hinter ihnen flutete das Sonnenlicht durch große Fenster herein und badete den Raum in gleißende Helle.
    An den Freitagabenden und Samstagvormittagen konnte Harry von seinem Platz auf der Chorempore die ganze versammelte Gemeinde überblicken. Die Menschen, die er kannte, gingen weg, wurden durch Armut, Diskriminierung, Gewaltandrohung und eine Regierung, die Emigration als die beste »Lösung« sowohl für die Juden als auch für Deutschland propagierte, dazu gezwungen, nach Übersee auszuwandern. Dennoch war die Synagoge noch immer voll. Während sich die Welt zunehmend verengte – wirtschaftlich, kulturell und gesellschaftlich –, zog die Synagoge auch immer mehr die Ränder der jüdischen Gemeinschaft an und wurde zur letzten sicheren Zuflucht in der Stadt. Es war nicht ungewöhnlich, dass sich 500 Menschen in der Halle drängten und gemeinsam sangen und um Frieden beteten.
    Im März 1938 erfolgte der Anschluss Österreichs an Deutschland. Die nachfolgenden Jubelfeiern festigten Hitlers Machtposition und stärkten seine Politik. Er werde ein neues deutsches Reich errichten, kündigte er an, das tausend Jahre bestehen werde. Die Juden von Karlsruhe waren überzeugt, dass diese Politik zum Krieg führen würde. Nicht nur gegen sie, sondern gegen das gesamte übrige Europa.
    Einen Monat später, am 28. April 1938, fuhren Max und Suse Ettlinger mit dem Zug 80 Kilometer zum US-amerikanischen Konsulat in Stuttgart. Sie bemühten sich seit Jahren vergeblich um eine Einwanderungserlaubnis in die Schweiz, nach Großbritannien, Frankreich und in die USA. Jetzt wollten sie eigentlich keine Papiere, sondern nur Antworten auf einige wichtige Fragen erhalten, doch das Konsulat war überfüllt mit Menschen, und es herrschte ein völliges Chaos. Die beiden wurden von einem Zimmer ins nächste geschickt, mussten ihrerseits Fragen beantworten und Formulare ausfüllen. Einige Tage später erhielten sie einen Brief. Ihr Antrag auf Einwanderung in die USA werde weiter bearbeitet, hieß es darin. Der 28. April war, wie sich herausstellte, der letzte Tag gewesen, an dem die USA Einwanderungsanträge angenommen hatten; der rätselhafte Papierkram war ein Antrag gewesen. Die Familie Ettlinger konnte Deutschland verlassen.
    Doch zuerst sollte Harrys Bar-Mizwa feierlich begangen werden. Die Zeremonie wurde für Januar 1939 angesetzt;
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