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Monströse Welten 1: Gras

Monströse Welten 1: Gras

Titel: Monströse Welten 1: Gras
Autoren: Sheri S. Tepper
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Widerstreit mit ihrem Verstand, und sie wollte den beiden helfen. »Ich kann euch zumindest das sagen, was Lees Bergrem mir gesagt hat und auch allen anderen sagt.«
    Vater Sandoval setzte die Tasse ab und bewegte sie über den Tisch; als er sie wieder aufnahm, blieb ein feuchter Rand zurück, den er mit der Fingerspitze verschmierte.
    »Das wäre vielleicht ganz hilfreich«, sagte er.
    Sie faltete die Hände im Schoß, wie sie es früher als Kind beim Beten getan hatte.
    »Lees sagt, daß fast alle Materie in unserem Universum die gleiche Anzahl links- beziehungsweise rechtsgedrehter Moleküle aufweist. Es gibt keinen ersichtlichen Grund, weshalb manche Moleküle auf die eine und andere auf die andere Art gedreht sind, aber so ist es nun einmal. Wir sind überall von ihnen umgeben. Manche dieser Substanzen sind sogar für verschiedene Lebensformen essentiell, und dazu gehört auch das sogenannte L-alanin. L-alanin ist ein universaler Baustein des Lebens. Der menschliche Körper und auch die meisten anderen Lebewesen sind darauf angewiesen.
    Hier auf Gras hat sich jedoch ein Virus entwickelt, das bei seiner Reproduktion ein Enzym erzeugt, eine Isomerase, die L-alanin in D-alanin umwandelt. L-alanin ist die normale Variante. D-alanin ist quasi deren Spiegelbild, das Isomer; es kommt in praktisch keiner uns bekannten Substanz vor. Ich zitiere Lees. So oft, wie sie es wiederholt hat, ist ein Irrtum ausgeschlossen.« Sie legte eine kurze Pause ein, wobei ihre und Rigos Blicke sich trafen. Er bedeutete ihr, fortzufahren.
    »Nach vielen hunderttausend Jahren hatte das Virus die Lebewesen auf allen Planeten des Universums infiziert. Wenn Pflanzen absterben, wird die D-Variante freigesetzt; schließlich war die D-Variante auf Gras genauso weit verbreitet wie die L-Variante. Das ist eine wichtige Tatsache, Rigo. Hier auf Gras liegen sowohl D-alanin als auch L-alanin in ungebundener Form vor. Mit jedem Atemzug, mit jedem Schluck Wasser und dem Verzehr hier produzierter Lebensmittel nehmen wir die beiden Substanzen auf – zusammen mit dem Virus.
    In dem Moment, wo wir das Schiff verließen, waren wir infiziert. Das Virus ist in der Luft, im Boden und im Wasser. Lees meint, daß nach wenigen Minuten wahrscheinlich schon jede einzelne Zelle von dem Virus infiziert war. Allerdings benötigt das Virus einen Katalysator zur Reproduktion. Eine Art Aktivator. Und dieser Katalysator ist D-alanin. Die Viren-RNS lagert sich an den Katalysator an, woraufhin L zu D konvertiert wird. Dieser Vorgang läuft sehr schnell ab. Das Virus arbeitet indes im Zwei-Wege-Modus. Es lagert sich auch an L-alanin an, worauf die Viren-RNS D zu L konvertiert.
    Wegen des hohen Vorkommens an D-alanin auf Gras erfolgt die Bindung an D-alanin fast sofort. An Orten wie Terra, wo nur ein paar vereinzelte Moleküle existieren, würde es jedoch sehr lange dauern. Deshalb hatte es auch so lange gedauert, bis die Pest auf den anderen Planeten ausbrach. Gleichzeitig ist das auch der Grund, weshalb es auf Gras keine Pest gibt. Mit dem ersten Atemzug, den wir hier machten, wurden unsere Zellen sowohl mit D als auch mit L gesättigt.
    Also invertiert das Virus auf Gras das lebensnotwendige L zu D, das der Körper nicht verwerten kann. Weil aber D und L in großen Mengen vorkommen, werden beide Varianten paritätisch gedreht, so daß unser Bedarf an L-alanin dennoch gedeckt wird. Auf anderen Planeten kam D-alanin nur als Spurenelement oder gar nicht vor. Nach der Drehung von L gab es nur noch D, das für die Zellen wertlos war. Wenn eine Zellregion abgestorben war, wechselten die Viren sofort in benachbarte Zellen über und wiederholten den Vorgang. Die Menschen verfaulten nachgerade. Verbände, Waschwasser und sonst alles, was mit dem Körper in Berührung gekommen war, stellten eine Infektionsquelle dar, und die toten Zellen dienten als Katalysator für die neu infizierten Zellen.«
    »Hier aber nicht«, sagte Rigo unbehaglich.
    »Nein, hier nicht. Auf Gras kommen sowohl D-alanin als auch L-alanin reichlich vor. Das garantiert unser Überleben. Der Lebenszyklus des Virus wird unterbrochen, und die Zellen sterben im natürlichen Rhythmus ab. Besucher dieses Planetens werden infiziert, ohne daß sie es jemals erfahren…«
    »Wurde die Krankheit also von den Fledermäusen übertragen?« fragte Vater Sandoval.
    »Lees sagt, daß die Fledermäuse kein Alanin benötigen. Die Substanz besteht nur aus einigen Aminosäuren, und die Fledermäuse sind eben nicht darauf
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