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Moni träumt vom großen Glück

Moni träumt vom großen Glück

Titel: Moni träumt vom großen Glück
Autoren: Berte Bratt
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der Nähe von Inge.
    Kaum war Mutti am nächsten Abend aus dem Haus, da machte ich mich auf die Socken oder vielmehr auf die Räder. Sie wohnten ja ziemlich weit weg, und ich mußte mit dem Rad fahren, um es rechtzeitig zu schaffen. Allerdings müßte ich dann auch mitten in der Nacht allein per Rad zurückfahren. Nun, das ließ sich nicht ändern. Sonst hätte ich mit einer Taxe fahren müssen, und das kam selbstverständlich nicht in Frage. „Taxe“… das stand nicht mehr in meinem Wörterbuch. Das hätte vielleicht drei, vier, fünf Mark gekostet! Kam nicht in die Tüte!
    Frau Clausen sprach sehr wenig deutsch. So war es ihr Mann, der mir alles zeigte. Hier sei das Kinderzimmer. Der Sprößling – vier Jahre alt – schlief schon. Da sei die Küche. Hier würde ich Milch finden, falls der junge Mann Durst hätte. Und ob ich französisch spräche? Errötend mußte ich beichten, wie traurig es mit meinen französischen Kenntnissen stand.
    „Ach, das wird schon gehen“, meinte Herr Clausen. „Moment mal, ich schreibe Ihnen schnell die wichtigsten Sachen auf einen Zettel.“ Er kritzelte – ziemlich unleserlich übrigens – mit vielen abscheulichen Circonflexen und so was auf: „Sei ruhig, mein Kind“… „Brauchst keine Angst zu haben“… „Die Tante ist bei dir“… und weiter all die Sachen, die Inge auch gesagt hatte. – Wie gut, daß ich als Lesestoff mein französisches Lehrbuch mitgenommen hatte!
    „Vor halb eins sind wir bestimmt zurück“, versicherte Herr Clausen. Dann gingen sie. Die Tür schlug hinter ihnen zu, und ich war allein mit dem vierjährigen Herrn Gerard.
    Was ich an diesem Abend vor allem an Französisch studierte, war der kleine Zettel von Herrn Clausen. Ich werde bestimmt nie in meinem Leben vergessen, was Hunger, Durst und Töpfchen und Mutti und Vati auf Französisch heißt! Dann drückte ich nach Leibeskräften beide Daumen, daß das Kind ununterbrochen schlafen möchte und daß ich meinen neuerworbenen französischen Wortschatz nicht gebrauchen würde.
    Eine halbe Stunde war es friedlich. Ich saß im Wohnzimmer, die Tür zum Kinderzimmer ließ ich einen Spalt auf. Dann, o Schreck, hörte ich drinnen eine Bewegung, danach ein kleines Wimmern, und dann kam ein durchdringendes Rufen „Maman, Maman“!
    Ich hinein! Wie hieß es noch? „Sei ruhig! Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin bei dir.“ Ob es an meinerfranzösischen Aussprache lag oder an der Tatsache, daß eine ganz fremde Tante plötzlich da war, weiß ich nicht; jedenfalls stieg das Weinen bis zum hilflosen Schreien an. Der Kleine versuchte aus dem Gitterbettchen zu krabbeln. Er schrie herzzerreißend.
    „Gérard, sei ruhig, sei ruhig. Mutti kommt bald, sei lieb und schlafe. Hier ist dein Teddy.“
    Nichts half. „Gérard, veux-tu du lait?“ Vielleicht verstand er es nicht. Ich halte es für sehr wahrscheinlich. Ich wollte fragen, ob er Milch haben wollte, aber er schrie weiter und rannte ins Wohnzimmer.
    Eine Viertelstunde später war ich dem Verzweifeln nahe. Ich schwitzte. Ich hätte beinahe so laut heulen mögen wie der junge Gérard. Was sollte ich nur machen? Sollte ich schon die Eltern anrufen? Sie würden bestimmt noch am Tisch sitzen. Und es wäre ja schrecklich, wenn ich nach einer Stunde schon anrufen müßte und sagen, ich würde mit dem Kind nicht fertig.
    Ich versuchte, den Jungen auf den Schoß zu nehmen. Ich versuchte, ihm ein Bilderbuch zu zeigen. Nichts half.
    Und dann, als ich gerade den verzweifelten Entschluß gefaßt hatte, doch anzurufen, da geschah es. Es klingelte an der Tür.
    Ich ging in den Flur und legte die Kette vor, ehe ich einen Spalt aufmachte. Der Kleine blieb mir auf den Fersen.
    „Onkel Marc“, rief das Kind und zerrte an der Kette. Ich begriff, daß es ein guter Bekannter war, der draußen stand, und nahm die Kette weg. Der Kleine stürzte sich in die Arme des jungen Mannes, der da stand.
    „Entschuldigen Sie vielmals“, lächelte er. „Ich wußte, daß das Ehepaar Clausen heute weg ist und daß ein Babysitter hier ist, als ich das Schreien hörte.“
    „Ja, das war wohl kaum zu vermeiden, falls Sie hier im Haus wohnen“, sagte ich.
    Der Fremde lächelte. „Ich wohne eine Treppe höher. Ich habe sogar mein Zimmer über dem Wohnzimmer hier.“ Er wandte sich an das Kind, sagte ein paar Worte auf französisch. Der Kleine reckte die Arme hinauf, und der junge Mann hob ihn auf den Arm. Dann sagte er wieder etwas, das ich nicht verstand, und trug das Kind ins
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