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Mondscheintarif

Mondscheintarif

Titel: Mondscheintarif
Autoren: Ildikó von Kürthy
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hoffentlich einen schlechten Charakter und ein freudloses Dasein. Dieses Vegetieren aus dem Koffer. Heute Miami, morgen Paris, übermorgen Sydney. Nee, das ist ja auch kein Leben.
    Ob Claudia schon häufig auf Anrufe gewartet hat? Kann man Claudia überhaupt so einfach anrufen?
    Ob sie sich jemals mit Selbstverstümmelungsgedanken getragen hat, nach dem Besuch in einer gnadenlos ausgeleuchteten Umkleidekabine bei H&M?
    Ob sie jemals bei der Anprobe auf halbem Wege in einem Minikleid ohne Reißverschluss stecken geblieben ist und die Verkäuferin um Hilfe bitten musste?
    Ob sie sich jemals nach dem Sex auf dem Weg zum Klo die Bettdecke um die Hüften gebunden hat?
    Weiß sie, wie es ist, einen ganzen Abend mit eingezogenem Bauch zu verbringen? Wie gedemütigt man sich fühlt, wenn man sich in einem unachtsamen Moment freundlich und nackt über den Liebsten beugt und die kleinen Brüste dabei traurig herunterhängen wie leere Sunkist-Tüten?
    56   Kilo! Ich weiß genau, wie ich mit 56   Kilo am Leib aussehen würde. Ich gehöre zu den Frauen, die immer zuerst an den falschen Stellen abnehmen. Null Brust. Null Hintern. Aber Oberschenkel wie Oliver Bierhoff und Waden, die auch ohne mich, jede für sich allein, überleben könnten.
    Schluss jetzt damit. Mut zur Weiblichkeit!
    Man sollte sein Fettgewebe mit Stolz tragen. Ich muss meine Gedanken positivieren. An ermutigende Ereignisse denken, die mich aussöhnen mit meinem Körper.
    Mal überlegen. Hmmm. Ja! Da fällt mir was Tolles ein. Hat leider wieder mit Sascha zu tun. Er hat mir das wunderbarste Kompliment gemacht, das ich je gehört habe.
    Wir lagen sehr erschöpft und völlig unbekleidet unter seinem Schreibtisch. Er betrachtete mich versonnen, und während ich mir noch verzweifelt eine Bettdecke herbeiwünschte, sagte er: «Wenn ich so schön wäre wie du, würde ich den ganzen Tag lang onanieren.»
     
    Nach dem überaus peinlichen Auftritt bei der Filmpreisverleihung – die letztendlich weder mir noch der Arbeiterklasse irgendwelchen Ruhm eingebracht hatte – fühlte ich mich ein paar Tage sehr elend.
    Ich brauchte eine Zeitlang, um herauszufinden, woran das lag. Ich war weniger beschämt über das, was geschehen war, sondern vielmehr verärgert, dass ich mich gegenüber dieser entsetzlichen rothaarigen Person so hilflos gefühlt hatte. Eine Katastrophe zu verursachen ist eine Sache. Aber von einer hirnlosen Kontaktlinsenträgerin gedemütigt und gemaßregelt zu werden – diese Schmach saß tief. Zu tief.
    Noch dazu hatte ich von Jo erfahren, dass Carmen in der letzten Episode einer Arztserie auf ‹RTL› die Schwesternschülerin Mona spielt, die sich in den stark behaarten Chefchirurgen verliebt, der daraufhin das Krankenhaus, Frau und zwei entzückende Kinder verlässt, um mit Mona ein neues Leben in Andalusien zu beginnen.
    Nach einigen Telefonaten mit wichtigen T V-Menschen hatte Jo außerdem in Erfahrung gebracht, dass Carmen mit Nachnamen Koszlowski hieß und ihr richtiger Vorname eigentlich Ute war. Über ihr Liebesleben hatte Jo nichts herausfinden können.
    Ute Koszlowski!
    Ich dachte an Rache.
    Ich dachte an Filmpreisverleihungen, auf denen mich Bruce Willis bittet, die Nacht mit ihm zu verbringen. «You look so attractive. I want you. And I want you now», flüstert er mir ins Ohr. Laut genug natürlich, dass es Carmen, die ihn gerade um ein Autogramm angebettelt hat, hören kann. Ich verbrachte eine Stunde vor dem Einschlafen damit, Rache-Szenarien zu entwerfen. So lange, bis Carmen schließlich ohne Mann dastand, ohne Job, ohne Haare. Doch letztendlich konnte ich nicht gegen die Realität anphantasieren.
    Am nächsten Morgen regnete es in Strömen, es war für die Jahreszeit ungewöhnlich kalt, und nichts, aber auch wirklich überhaupt ganz und gar nichts, deutete darauf hin, dass dieser Tag ein schicksalhafter Tag werden sollte.
    Ich schlich, wie jeden Morgen, ungeduscht und strubbelig, im Bademantel ins Treppenhaus, um die Zeitung aus dem Briefkasten zu holen. Jeden Morgen hoffe ich, dass ich dabei niemandem begegne.
    Ich gehöre leider nicht zu den Frauen, die ansehnlich aussehen, wenn sie aufwachen. Das liegt unter anderem daran, dass ich abends meistens keine Lust habe, mich abzuschminken. Außerdem scheinen meine Haare nachts alles andere zu tun, als zu schlafen. Ich bin immer wieder überrascht, wenn ich morgens in den Spiegel schaue. Meist negativ. Die tollkühnsten Frisuren türmen sich auf meinem Kopf. Manchmal mache ich mir einen
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