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Mondscheintarif

Mondscheintarif

Titel: Mondscheintarif
Autoren: Ildikó von Kürthy
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Ausdruck nicht recht deuten. Ich würde sagen, es war eine Mischung aus Belustigung, Verachtung und noch irgendwas anderem. Jedenfalls fiel mir da zum ersten Mal auf, dass er ganz wunderschöne Augen hatte.

17   :   47
    Habe den Weihnachtsbaum inspiziert, und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich ihn unmöglich durch die Straßen schleppen kann, solange es draußen noch hell ist. Würde mich zum Gespött der Leute machen und womöglich im Park entdeckt und wegen unerlaubter Entsorgung von Abfall verhaftet werden. Und ich weigere mich einfach, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass ich noch immer hier sein werde, wenn es dunkel ist. Ich werde durch die lauschige Nacht spazieren, Hand in Hand   … Uuuh, stopp.
    Der Anblick des Weihnachtsbaumes hat mich nachdenklich gestimmt. Ich sollte Mama mal wieder anrufen. Außerdem hat mich das beinahe nadelfreie Gerippe an meine letzte Beziehung erinnert. Sascha hatte die Tanne in seinem silbernen Mercedes 2, 0-was -weiß-ich transportiert – und sich mächtig über die klebrigen Harzflecken auf den Rückenlehnen aufgeregt.
    Sascha war ein Pedant, das muss man ganz klar so sagen. Und auch sonst waren wir total verschieden. Es war fast rührend, wie wir bei unserem ersten Rendezvous versuchten, irgendeine Gemeinsamkeit auszukundschaften.
    Sascha hatte mich in der Sauna angesprochen, weil er meine Tätowierung auf der Hüfte für ein versehentlich haften gebliebenes Preisschild gehalten hatte. Na ja, und wie das so ist. Wenn man sich nackt kennenlernt, ist man doch immer etwas gehemmt. Aber er hatte eine angenehme Stimme, freundliche Augen und den knackigsten Arsch, den ich je gesehen hatte – und so ließ ich mich zum Essen einladen.
    Am ersten Abend siezten wir uns, was ich irgendwie ganz romantisch fand. Sascha trug eine Nickelbrille und sah sehr klug aus, was er leider, wie sich herausstellen sollte, auch war.
    «Was liegt denn zurzeit auf Ihrem Nachttisch?», fragte er mich gleich zu Beginn.
    Da war ich aber platt. Was meinte der Mann? In Gedanken stellte ich mir meinen Nachttisch vor, so wie ich ihn heute Morgen, eine halbe Stunde nachdem ich eigentlich schon im Büro sein sollte, verlassen hatte.
    Zualleroberst liegt meine Schrundencreme. Wenn man die über Nacht einwirken lässt, kann man die Hornhaut von den Füßen am nächsten Morgen ganz leicht abziehen. Daneben sitzt mein Stoffhäschen, das ich vor ungefähr 150tausend Jahren zum Geburtstag bekommen habe. Daneben steht ein ziemlich voller Aschenbecher auf etlichen unterbelichteten Schrankwand-Fotos, daneben ein Glas, in dem die Rotweinreste festgetrocknet sind, und eine Packung Johanniskraut-Dragees zur Stärkung der Nervenkraft.
    Als ich in Saschas kluge, gefühlvolle, ästhetisch empfindliche Augen schaute, wusste ich, dass ich ihm diesen Anblick fürs Erste ersparen musste.
    Er war bestimmt nicht der Typ, der bei Ansicht meiner Oberschenkel in unflätiges Gelächter ausbrechen oder beim Erstkontakt mit meinen Zehen auf die Toilette flüchten würde. Aber die Konfrontation mit mehreren, auch noch gebundenen Rosamunde-Pilcher-Romanen, einem leuchtenden Gummibärchen am Fußende meines Bettes und einer Stange ‹Gauloises légères› neben der Badewanne?
    Nein. So viel Realität kann man niemandem in der ersten Nacht zumuten. Das wäre ungefähr so, als würde man einem Mann beim ersten Date anvertrauen, dass man bei ‹Trivial Pursuit› immer verliert und auf die Frage «Welche ist die größte Insel im Mittelmeer?» einmal geantwortet hat: «Australien.» Nicht dass mir das jemals passiert wäre. Jetzt bloß mal so, als Vergleich.
    «Och», sagte ich also ablenkend. «So dies und das. Was liegt denn auf Ihrem Nachttisch?» Es empfiehlt sich immer, Fragen, die man nicht beantworten möchte, unbeantwortet zurückzugeben.
    «Also auf meinem liegt zurzeit ‹Das Christentum in totalitären Regimen›. Das ist wirklich ein lehrreiches und empfehlenswertes Buch.»
    Ich nickte gewichtig. Ich finde, eine Wohnung sagt sehr viel über ihren Bewohner aus. Ich lese in Wohnungen wie in Biographien.
    Was sagt uns zum Beispiel eine kilometerlange Schallplattensammlung gleich neben dem Wassili-Sessel?
    Folgendes: «Ich bin diskutierfreudig, habe Foucault gelesen und Verständnis, wenn du statt Sex Kopfschmerzen hast. Ich spiele einmal die Woche Squash, denke beim Onanieren an Iris Berben, würde das aber nie zugeben, liebe meine alten T.-Rex-Scheiben mehr als mein Leben, und obschon ich auch nichts gegen einen
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