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Mondscheintarif

Mondscheintarif

Titel: Mondscheintarif
Autoren: Ildikó von Kürthy
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als wolle ich mir nur die Hände waschen.
    «Ich wollte mir nur mal eben die Hände waschen», sagte ich fröhlich. «Ist ja so heiß dadrin.»
    Das Fräuchen nickte wohlwollend. Und da ich heilfroh war, in diesem Promi-Irrenhaus einem normalen Menschen zu begegnen, und ich sowieso einen ausgeprägten Hang zur Arbeiterklasse habe (ich habe mal mit einem Elektriker geschlafen), plauderten wir noch eine Weile.
    Ich erfuhr Wissenswertes über die Toilettengewohnheiten von Männern und Frauen. Die Damen sind,erstaunlicherweise, weniger reinlich, dafür aber kleinlicher als Männer. Und wenn sie sich erbrechen, scheinen sie die Klofrau persönlich dafür verantwortlich zu machen und behandeln sie anschließend entsprechend schlecht. Für Männer ist das Herrenklo eher ein Ort der Entspannung. Hier können sie ganz sie selbst sein. Sie geben reichlich Trinkgeld und setzen erst kurz vor der Schwingtür wieder ihr Ich-bin-wichtig-Gesicht auf.
    Dabei fiel mir siedend heiß ein, ich hatte meine Handtasche am Tisch liegenlassen und folglich auch kein Kleingeld dabei. Auweia. Wie sollte ich jetzt hier rauskommen? Sie musste ja Schlimmes von mir denken. «Erst macht sie einen auf vertraulich – dann verpisst sie sich.»
    In meiner Verzweiflung plauderte ich weiter.
    «Haben Sie denn schon von dem köstlichen Büfett da draußen probiert?», fragte ich. «Ich nehme an, die Angestellten des Hauses essen während der Preisverleihung?»
    «Ach nein», sagte sie. «Ich habe mir ein paar Stullen mitgebracht. An das Büfett dürfen wir nicht dran.»
    Was? Wie? Wieso? Da saß dieses Mütterchen auf ihrem Höckerchen in ihrem Marmor-Pissoir, wischte den Prominenten hinterher und bekam dafür nicht mal eine armselige Hummerschere?
    Mein soziales Bewusstsein rebellierte. Was hätte Marx dazu gesagt? Keine Ahnung, habe nie Marx gelesen, aber genug gehört, um zu wissen, dass er sich jedes seiner grauen Barthaare einzeln ausgerupft hätte.
    «Wissen Sie was!», rief ich kämpferisch. «Ich hole Ihnen jetzt von da draußen was zu essen. Was wollen Sie? Hummer? Vitello tonnato? Carpaccio?»
    Sie schaute mich etwas verwirrt an. «Ach, vielleicht von allem etwas?»
    Ich rauschte hinaus. Ich, Kämpferin für die Unterdrückten, Retterin der Armen. Die Jeanne d’Arc der Klofrauen! Nieder mit dem Kapital! Wir sind das Volk!
    Die Preisverleihung war soeben zu Ende gegangen, und die ersten Kapitalisten drängelten sich in Richtung Büfett. Aber ich war schneller. Ich griff mir einen großen Teller und hortete darauf in Windeseile das Beste vom Besten. Ich bin zwar Einzelkind, aber mein Vater hatte einen ausgeprägten Appetit, also habe ich früh gelernt, was es heißt, ums Überleben zu kämpfen und innerhalb von Sekunden das größte Stück Braten zu erkennen und zu ergattern. Ganz oben auf den Teller platzierte ich – mahnendes Symbol für die Dekadenz der herrschenden Klasse – einen Hummer.
    Teuer – aber tot.
    Geschickt balancierte ich den übervollen Teller durch die immer dichter werdende Masse von dunklen Anzügen und prächtigen Roben. Ich hatte die Schwingtür am Ende des Saales im Auge. Ich sah nicht, wie Uschi Glas mit Iris Berben tuschelte, ich sah nicht, wie Mario Adorf erleichtert auf dem Herrenklo verschwand. Ich sah nur die Schwingtür, das Schild ‹Damen› und dahinter, vor meinem inneren Auge, das Klofräuchen mit ihren Stullen in der Tasche.
    Zwei Meter vor dem Eingang zum Klo änderte sich mein Leben.
    Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sich ein dunkler Anzug aus einer Menschentraube löste. Der dazugehörige Mann machte zwei, drei Schritte rückwärts, um sich dann mit Schwung umzudrehen.
    Dann sah ich einen fliegenden Hummer, flankiert von einer Portion Kaviar-Kartoffeln und etlichen Roastbeef-Scheiben. Das Todesgeschwader schoss auf die Schwingtür mit der Aufschrift ‹Damen› zu – die sich in diesem Moment öffnete.
    Wie in Zeitlupe landete der Hummer, teuer, aber tot, in einem Dekolleté, gleich unter dem Aquamarincollier. Die Beilagen fanden ihren Platz auf dem dunkelroten Helmut-Lang-Kleid sowie auf den Prada-Sandaletten der Dame, die vor zwei Stunden einen Preis für die beste weibliche Hauptrolle gewonnen hatte.
    Ich selbst lag auf einem Mann. Ich sah in seine schreck- und schmerzgeweiteten Augen, da sich mein Knie beim Fallen offensichtlich in seinen Schritt gebohrt hatte. Das war meine erste Begegnung mit den Geschlechtsteilen von Dr. med. Daniel Hofmann.
     
    Die weibliche Hauptrolle hatte sich nach einer
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