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Mondscheintarif

Mondscheintarif

Titel: Mondscheintarif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ildikó von Kürthy
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Schrecksekunde in die Toilette geflüchtet. Dort schloss sie sich in einer Kabine ein und war, was ich einen Tag später dann den Tageszeitungen entnahm, den ganzen Abend über nicht wieder aufgetaucht. Gegen Mitternacht hatte sie, angeblich in ein weißes Tischtuch gehüllt, den Veranstaltungsort durch einen Hinterausgang verlassen.
    Während ich mich noch hochrappelte, um den sich unter mir windenden Herrn zu befreien, war das Klofräuchen schon dabei gewesen, das Büfett vom Boden aufzuwischen.
    Wir tauschten einen Blick.
    Verständnisvoll. Dankbar. Verzweifelt.
    Der Mann war inzwischen auch auf die Füße gekommen, hielt sich die Genitalien mit beiden Händen und starrte mich an, als sei ich die Inkarnation des Bösen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
    Mittlerweile umkreisten uns etliche Kellner, Fotografen und neugierige Gäste. Eine rothaarige Frau, die aussah wie eine früh und üppig entwickelte Vierzehnjährige, bahnte sich ihren Weg durch die Menge, warf erst mir einen vernichtenden Blick zu und stürzte sich dann auf den demolierten Mann.
    «Dani-Schatz», rief sie mit schriller Stimme. «Was ist passiert?» Wieder ein böser Blick in meine Richtung.
    «Ist schon in Ordnung», stammelte Dani-Schatz. «Geht schon wieder.» Er sah recht elend aus, wie er da in verkrümmter Pose stand. Eine Hand immer noch zwischen die Beine geklemmt, die andere haltsuchend auf dem leicht gebräunten Arm der Rothaarigen.
    «Lass mal sehen, mein armes Schätzchen», jammerte sie und fing an, sich an seinem Reißverschluss zu schaffen zu machen.
    «Nimm deine Hände weg, verdammt nochmal», fauchte Dani-Schatz.
    «Da sehen Sie, was Sie angerichtet haben, Sie dämliche Kuh!», keifte die Dame in meine Richtung.
    Ich finde, dass in Momenten äußerster Anspannung sich doch immer wieder der wahre Charakter eines Menschen zeigt. Dessen eingedenk versuchte ich, meinen wahren Charakter für mich zu behalten, schluckte die Beleidigung hinunter und beschloss, diese Frau mit Missachtung zu strafen. Schließlich ging es hier weder um mich noch um sie, sondern um den armen Mann, der nicht nur mit Unterleibsblessuren, sondern auch noch mit einer vulgären Freundin gestraft war.
    Ich machte einen hilflosen Schritt auf die beiden zu. «Es tut mir so leid», nuschelte ich. «Brauchen Sie vielleicht einen Arzt?»
    «Einen Arzt? Einen Arzt?» Die Frau funkelte mich mit ihren grünen Augen derart überzeugend an, dass ich keinen Moment länger daran zweifelte, dass sie gefärbte Kontaktlinsen trug. Wahrscheinlich war auch das rote Prachthaar nicht echt. Mogelpackung, dachte ich und streckte angriffslustig meine Brüste raus. War ich froh, dass ich heute welche zum Rausstrecken hatte. Das verschafft einer Frau in solchen Momenten wesentlich mehr Autorität.
    «Er ist selbst Arzt. Und was Sie brauchen, ist ein Anwalt. Und zwar einen guten!»
    «Komm, Carmen, jetzt mach doch nicht so ein Theater. Es geht schon wieder. War ja auch keine Absicht», murmelte Dani-Schatz beschwichtigend.
    Carmen? Carmen? Dass ich nicht lache. Das war doch niemals ihr echter Name! Wahrscheinlich wechselte die Pissnelke mit jeder Poly-Color-Langzeittönung ihren Vornamen.
    Schwarzes Haar: «Ich heiße Verona.»
    Blondes Haar: «Mann nennt mich Cloodia.»
    Ich hätte gerne etwas Schlagfertiges, Niveauvolles erwidert. So was wie: «Mir scheint, Sie treten gerade über die Ufer, Sie Rinnsal.» Habe ich mal in einem Theaterstück gehört. Aber es fiel mir in dem Moment natürlich nicht ein. Das ist ja meistens so. Wenn mein Chef blöde Sachen zu mir sagt, stammele ich auch meist nur «Äh, tja, ähem». Und es macht keinen intellektuellen Eindruck, ihn einen Tag später anzurufen und nachträglich mit einer schlagfertigen Antwort zu konfrontieren.
    Ich sagte also: «Äh, tja, ähem.»
    Aber das Weib war nicht zu bremsen. «Was heißt hier keine Absicht?» Jetzt keifte Frollein Carmen ihren Liebsten an.
    «Sie hätte dich umbringen können! Oder noch schlimmer!»
    In diesem Moment tauchte glücklicherweise Jo auf. Sie erfasste die Situation in Sekunden, grapschte sich meinen Arm und flüsterte: «Komm, wir machen uns besser vom Acker.»
    Und das taten wir. Wir eilten zur Garderobe, lösten unsere Mäntel aus, und beim Hinausgehen erhaschte ich noch einen Blick auf Dani-Schatz und seine falsche Carmen.
    Sie hing besitzergreifend bei ihm eingehakt, währender tröstend auf sie einredete. Über ihre milchweiße Schulter hinweg trafen sich unsere Blicke. Ich konnte seinen

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