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Mondmädchen

Mondmädchen

Titel: Mondmädchen
Autoren: Boje Verlag
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römischen Arena?
    Ich vermute, es hat alles in meinem siebten Jahr angefangen, an einem Tag, den ich zunächst für einen der glücklichsten meines Lebens gehalten hatte. Es war ein strahlender, sonnendurchfluteter Sommermorgen in Alexandria. Vor dem königlichen Palast saßen meine Mutter, meine Brüder und ich auf unseren Thronsesseln, während hinter uns das Mittelmeer glitzerte und vor uns Reihen von Dattelpalmen sanft im Wind schwangen. Wir warteten auf meinen Vater, den großen römischen Feldherrn Marcus Antonius, der sich nach seiner Parade durch die Stadt zu uns auf unsere prunkvolle Tribüne gesellen sollte. Die Feierlichkeiten fanden zu Ehren seines Sieges über Armenien, seines Feindes im Osten, statt. Und wir – seine Familie und ganz Alexandria – würden uns mit ihm freuen.
    Selbst unter dem Schatten unseres königlichen Baldachins lief mir der Schweiß den Nacken und den Rücken hinunter. Die Fächer aus Straußenfedern, mit welchen die Diener uns Luft zufächelten, verschafften nur wenig Linderung. Von Zeit zu Zeit kam ein heftiger Windstoß vom königlichen Hafen herüber und kühlte uns mit herber, salziger Meeresluft.
    Trotz dieser Unbequemlichkeit und obwohl mich der Boden aus gehämmertem Silber zu unseren Füßen blendete, zwang ich mich, ganz still zu sitzen, so wie Mutter es uns befohlen hatte, die Augen fest auf einen Punkt knapp über dem Horizont gerichtet. Zosima, die mit großer Sorgfalt mein Gesicht geschminkt hatte, hatte mir untersagt, in dem hellen Licht zu blinzeln. Auf keinen Fall durfte ich den dicken Kajalstrich um meine Augen und Augenbrauen verschmieren, und unter keinen Umständen durfte ich die grüne Malachitfarbe auf meinen Augenlidern zum Abblättern bringen. Ich durfte noch nicht einmal meinen Kopf bewegen. Ich würde alle Regeln bis ins Kleinste befolgen, nahm ich mir vor. Mutter sollte stolz auf mich sein.
    Aber Aufregung und Neugier ließen mein Blut rauschen, während ich darum kämpfte, still sitzen zu bleiben, und ich wagte, so oft es ging, kleine Seitenblicke. Besonders begeisterte mich der Anblick meiner Mutter, Königin Kleopatra VII. Sie saß auf einem goldenen Thron und sah so ehrfurchtgebietend aus wie eine der riesigen Marmorstatuen, welche die Gräber unserer Ahnen bewachten. In dem Gewirr schwarzer Zöpfe auf ihrer Festtagsperücke glitzerten Diamanten. Sie trug ein Diadem mit drei sich aufbäumenden Schlangen und über ihrem goldenen, eng geschnittenen Faltengewand einen breiten, goldenen Halsschmuck, auf dem Lapislazuli, Karneole und Smaragde glänzten. In der einen Hand hielt sie ein goldenes Schleifenkreuz, als Zeichen des Lebens, während die andere den gestreiften Krummstab und den Wedel umklammert hielt, die Zeichen ihrer göttlichen Regentschaft. Ihre unbewegliche Haltung strahlte Kraft aus, wie eine Löwin, die vor dem Sprung innehält. Vor lauter Ehrfurcht verschlug es mir den Atem.
    Ich setzte mich noch aufrechter hin und versuchte, es ihr gleichzutun, mit vor Stolz geschwellter Brust, weil mir klar wurde, dass nur Mutter und ich wie wahre Herrscherinnen von Ägypten gekleidet waren – sie als die Göttin Isis und ich als die Mondgöttin Nephthys. Schließlich war ich ja auch nach dem Mond benannt. Mein Bruder hieß Alexandros Helios nach der Sonne und ich war Kleopatra Selene, wie der Mond. Ich trug ein fließendes Gewand, das mich an das flüssige Metall erinnerte, das die Wissenschaftler unserer großen Bibliothek »lebendiges Silber« nannten – Quecksilber. Ein silbernes Diadem mit einem Mond saß auf den dicken Zöpfen meiner Festtagsperücke. Selbst meine Sandalen glänzten silbern.
    Ich hatte meine geliebte Heimatstadt noch nie so bevölkert gesehen. Zehntausende Alexandriner und Ägypter drängten sich auf den breiten Prachtstraßen und in den Gassen, um einen Blick auf uns oder unseren Vater bei seinem Triumphzug zu erhaschen. Die reichsten Familien griechischer Abstammung saßen auf erhöhten Bänken auf dem Platz vor uns, während Kaufleute, Händler und die Armen sich auf den Straßen tummelten, wo sie sich im Gedränge einen Stehplatz erkämpfen mussten. Manche kletterten sogar auf Bäume oder auf die Schultern der Statuen meiner Vorfahren und kraxelten auf Mauern und Dächer, um uns besser sehen zu können.
    Das Geschrei der Menge, als mein Vater in seinem Streitwagen erschien, klang wie die Wellen, die gegen die Felsen auf der Insel Pharos brandeten, wo unser großer Leuchtturm stand. Als Tata zu uns auf die Tribüne stieg
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