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Mondlaub

Titel: Mondlaub
Autoren: Tanja Kinkel
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sich vor Aufregung auf die Lippen.
    Sein Vater lächelte ihn an. »Du zuerst«, sagte er. Muhammad schluckte. Nun kam die letzte, die endgültige Prüfung für einen Falkner: Würde der Falke zu ihm zurückkehren? Mit bebenden Händen entfernte er die Haube von Zuleimas Kopf. Der Falke schüttelte sich, spreizte das Gefieder. Die gelben Augen blinzelten. Muhammad holte tief Luft. Dann hob er seine Faust. Er spürte, wie Zuleima sich ein wenig ausbalancierte. Dann entfaltete sie ihre Flügel, peitschte die Luft und stieg in einem hohen, schrägen Bogen geradewegs in das Licht der Morgensonne auf.
    Muhammad stieß den angehaltenen Atem aus. Sein Vater und al Zaghal sagten nichts. Stumm beobachteten sie den makellosen Flug des Falken, seine schwebende Eleganz. Aber der Vogel machte keine Anstalten, die Rebhühner zu verfolgen, auf die er ihn angesetzt hatte. Auf Muhammads Stirn begann eine kleine Ader zu pochen. Hatte er den Falken verloren?
    Da veränderte sich Zuleimas Flug. Al Zaghal sagte etwas, doch Muhammad hörte ihn nicht. All seine Sinne waren auf den Falken gerichtet, den Falken, der sich nun herabstürzte auf etwas, das sich außerhalb ihrer Sichtweite befand. Pferdegetrappel drang an sein Ohr, und plötzlich wurde ihm bewusst, dass etwas nicht stimmte.
    Al Zaghal fluchte. »Welcher Dummkopf kann das sein? Der verscheucht uns noch das ganze Wild und macht die Vögel nervös.«
    Ali sagte nichts, aber seine Brauen zogen sich Unheil verkündend zusammen. Ein Schatten fiel auf Muhammad, und er konnte gerade noch rechtzeitig den Arm ausstrecken, um Zuleima in Empfang zu nehmen. Er war so glücklich über ihre Rückkehr, dass er erst beim zweiten Hinsehen erkannte, was sie ihm gebracht hatte.

    »Eines der Rebhühner! Sehr gut«, sagte sein Vater beifällig.
    Schnell, wie er es gelernt hatte, schnitt Muhammad den Kopf des Rebhuhns ab und stopfte den Körper in seine Satteltasche.
    Dann gab er Zuleima ihre vorbereitete Belohnung und beobachtete strahlend, wie der gierige Vogel sich auf das Fleisch stürzte. Sein Herz hämmerte. Sie war zu ihm zurückgekehrt!
    Sein Vater war gerade dabei, die Haube seines eigenen Falken abzunehmen, als das Geräusch von vorhin lauter wurde und nä her kam. Ali hielt inne. Er musste nicht lange auf die Störenfriede warten. Auf der Lichtung erschienen in rascher Folge ein christlicher Edelmann und seine Begleiter, offensichtlich, wie das erlegte Reh auf einem ihrer Lasttiere bewies, ebenfalls auf der Jagd.
    Muhammads Augen weiteten sich. Granada befand sich seit einiger Zeit nicht im Kriegszustand mit einem der christlichen Staaten, doch der Junge hatte noch nie die Gelegenheit gehabt, Christen kennen zu lernen, die weder Sklaven noch Botschafter waren. Er studierte die merkwürdige Kleidung, die seltsame Art zu reiten, so steif, so gezwungen. Al Zaghal sog hörbar den Atem ein. Abul Hassan Ali befestigte erst den Falken wieder auf seinem Bock, bevor er sich den Neuankömmlingen zuwandte, die über die Begegnung offensichtlich ebenso verblüfft waren wie die Araber.
    »Was«, fragte er ungehalten in schwerem Kastilisch, »wollt Ihr hier? Ich sehe, dass Ihr nicht in kriegerischer Absicht kommt, aber die Grenze ist mehr als eine Tagesreise entfernt, und niemand zieht so weit ins Landesinnere ohne Erlaubnis des Fürsten.«
    Der christliche Edelmann hatte sich inzwischen wieder gefangen. Er war etwa so alt wie al Zaghal, vierschrötig und muskelbepackt. Er warf einen Blick auf seine Begleiter. Ihre Anzahl übertraf die der Moslems, die er vor sich sah. Sein Gesicht glänzte in der Sonne, als er herausfordernd antwortete: »Welches Fürsten? Euer Emir ist doch nur ein Vasall unseres Herrn, und seine Erlaubnis haben wir!«
    Al Zaghal straffte sich und wollte sich auf ihn stürzen, doch Ali hielt ihn zurück. »Ach, wirklich?«, fragte er mit sanfter Stimme.
    »Nun, dann brauche ich Euch nicht als Gast zu behandeln.
    Sprechen wir von Jäger zu Jäger. Ihr seid hier durch den Wald geprescht wie eine Horde Wildschweine und habt mein Wild verscheucht, ganz zu schweigen von den Falken, die Ihr verstört habt. Jeder Jäger weiß, wie man sich zur Jagdzeit in den Wäldern zu verhalten hat. Ich muss also annehmen, dass Ihr entweder bodenlos dumm seid oder dass es Euch ernsthaft an Erziehung mangelt, etwas, was Euer König sicher gerne behoben sehen möchte. Ich bin ein großzügiger Mensch. Würdest du ihre Erziehung beenden, Bruder?«
    »Mit dem größten Vergnügen«, knurrte al Zaghal. Der
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