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Mondlaub

Titel: Mondlaub
Autoren: Tanja Kinkel
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ihr verziehen hatte.

    Am zweiten Rabi im Jahre 897, dem zweiten Januar Anno Domini 1492, verließen Muhammad, seine Familie und seine gesamte Dienerschaft die Alhambra. Es war kurz nach dem Morgengebet, aber jeder einzelne Bewohner der Stadt, so schien es, stand in den Straßen, um Abu Abdallah Muhammad ben Ali, den letzten Emir von Granada, den christlichen Eroberern entgegenziehen zu sehen. Es gab keine Hohnrufe, einfach nur ein einziges, allumfassendes Schweigen.
    Fernando und Isabella hatten einige Soldaten vorausgeschickt, die in die Alhambra eindrangen, sowie Muhammad sie verlassen hatte, doch der Hauptteil der Armee und auch sehr viele Schaulustige warteten in Santa Fe. Muhammads Gefolge hatte die Stadt noch nicht verlassen, als einige Kanonenschüsse die Stille brachen. »Was ist geschehen?«, fragte Nada, die neben Layla ritt. Diese drehte sich um. Auf dem großen Wachturm der Zitadelle war von den vorausgeschickten Soldaten das silberne Kreuz gehisst worden - das Banner der Kreuzfahrer.
    Es war das Zeichen für die gewaltige Prozession, die die christlichen Könige geplant hatten, sich in Bewegung zu setzen. Wegen der Größe ihres Zuges mussten die Granader mehrere Stunden am Ufer des Xenil warten. Allerdings konnte man die Christen schon von weitem ausmachen und auch hören. Jedes einzelne Mitglied der Prozession sang das »Te Deum lauamus«.

    Als die Prozession angehalten hatte und Muhammad den Königen entgegenritt, erkannte Layla zwischen den Kirchenfürsten und Hidalgos, die unmittelbar nach dem Königspaar kamen, auch Don Martin de Alarcon. Neben ihm ritt ein hoch aufgeschossener Junge von etwa dreizehn oder vierzehn Jahren. Sie versuchte, Moraymas Aufmerksamkeit zu erregen, die durch eine Reihe von Menschen und Lastentieren von ihr getrennt war, doch Muhammads Gattin hielt den Kopf gesenkt. Sie hatte ihn nicht erkannt, und auch Layla war sich zuerst nicht sicher gewesen. Es handelte sich um Suleiman.
    Fernando sagte laut und deutlich zu Muhammad, als dieser vor ihm sein Pferd zum Stehen gebracht hatte: »Als besondere Gunst für unseren Vasall Boabdil verzichten wir heute auf das Zeichen seiner Vasallentreue, den Handkuss.« Durch die Reihen der kastilischen Soldaten lief ein Kichern.
    Muhammad ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er hatte lange genug Zeit gehabt, um sich auf diesen Tag vorzubereiten.
    »Hiermit«, sagte er nicht weniger laut, »übergebe ich Euch die Schlüssel der Stadt und der Alhambra.«
    Layla fragte sich beim Anblick des goldenen Schlüsselbundes flüchtig, in welches Schloss diese zierlichen Schlüssel wohl passten, und stellte sich Fernando von Aragon durch die ganze Alhambra laufend vor, verzweifelt auf der Suche nach dem richtigen Schloss. Gleich darauf schämte sie sich. Jetzt war nicht der Moment, um etwas komisch zu finden.
    »Wem vertraut Ihr den Schutz der Alhambra an?«, fragte Muhammad.
    Die hohe, klare Stimme der Königin antwortete. »Don Inigo de Mendoza, Graf von Tendilla.«
    »Kann ich ihn sehen?«
    Isabella winkte, und aus den Reihen der Hidalgos löste sich ein Mann, den Layla schwach als einen der Neffen des Kardinals in Erinnerung hatte. Muhammad zog einen Türkisring vom Finger und reichte ihn dem Grafen.
    »Alle, die seit der Eroberung von al Andalus Granada regiert haben, trugen diesen Ring. Tragt Ihr ihn nun, da Ihr der Regent seid, und Gott möge Euch mehr Glück schenken als mir.«
    »Es wird mir eine Ehre sein«, entgegnete der Graf tief beeindruckt. Soweit Layla sich erinnern konnte, handelte es sich bei dem Türkisring um das Siegel von Aben Abi Abdallah, und der Goldreif trug die Inschrift »La ilaha illa Lha« - Es gibt keinen Gott außer Gott. Ihr Vater hatte ihn Muhammad der Tradition gemäß bei dessen Hochzeit überreicht, und sie versuchte, dieses Bild zu verdrängen.
    »Diese großzügige Geste ehrt Euch und beweist ritterlichen Geist«, sagte die Königin. »Doch auch wir haben etwas für Euch vorbereitet. Don Martin! Bringt Euren Schützling hierher.«
    Damit war es ihr gelungen, Muhammad aus dem Gleichgewicht zu bringen; er bebte sichtbar, als er nach all diesen Jahren zum ersten Mal seinen Sohn wieder vor sich sah. Suleiman wirkte unsicher und steif; er bewegte die Lippen, doch Layla konnte nicht verstehen, was er sagte.
    »Hiermit geben wir Euch Euren Sohn zurück, Abu Abdallah Muhammad«, fuhr Isabella huldvoll fort. »Möget Ihr nie wieder getrennt werden.«
    Muhammad fand zu seiner Fassung zurück und bedankte sich in den
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