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Mondlaub

Titel: Mondlaub
Autoren: Tanja Kinkel
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wird einen schriftlichen Vertrag geben«, sagte Muhammad,
    »und sie werden in Gegenwart ihrer höchsten Kirchenfürsten, sogar eines Legaten ihres Papstes, ihre heiligsten Eide darauf schwören.« Mit gesenkter Stimme, nur für Musa bestimmt, fügte er hinzu: »Es ist vorbei, Musa.«
    Musa ben Abi Ghassan blickte seinen ehemaligen Freund an, dann spie er auf den Boden. »Wie viel haben Sie Euch bezahlt, Sejid? Werdet Ihr der erste christliche Befehlshaber von Granada?«
    Unter den früheren Emiren hätte eine solche Geste Musa den Kopf gekostet, und einige der Älteren starrten ihn schockiert an.
    Die meisten jedoch schauten auf Muhammad. Dieser erhob sich von seinem Thron.
    »Der Vertrag«, sagte er, »verpflichtet mich, für immer alle Ansprüche auf die Herrschaft in Granada aufzugeben, für mich und meine Familie, und Granada zu verlassen. Ich habe das nicht vorher erwähnt, weil es nicht wirklich wichtig ist. Wichtig ist nur, dass der Krieg beendet wird und dass Granada bleibt, was es war.«
    Diesmal lag in dem allgemeinen Schweigen fast so etwas wie Mitgefühl und Respekt für den Emir. Abermals ergriff Abul Kasim Abd-al-Malik das Wort.
    »Es war Allahs Wille, dass Granada falle, doch hat der Erbarmer in seiner Gnade das Herz der Christen bewegt. Töricht wä re es, ein solches Gnadenzeichen zu missachten.«
    »Töricht?« Musas Stimme überschlug sich fast. »Ihr alle seid töricht und blind obendrein! Aber ich werde nicht hier bleiben um zuzusehen, wie Granada zum Wurm wird, den die Christen unter ihren Füßen zertreten! Ich werde nicht bleiben, um unsere Gesetze missachtet, unsere Frauen misshandelt und unsere Häuser zerstört zu sehen. Mein Platz ist nunmehr bei unseren Brü dern in Fez. Schande über Euch!«
    Damit stürmte er aus dem Saal. Muhammad machte eine Bewegung, als wolle er ihm folgen, doch dann besann er sich eines Besseren. Es war alles gesagt, was zu sagen war.
    Da jetzt wieder Lebensmittel in die Stadt gelangten, holten die meisten Familien ihre Kinder ab. Layla hatte eigentlich angenommen, es würden einige Waisen zurückbleiben, doch entweder fanden sich Tanten oder Onkel, oder Menschen, die während der Belagerung ihre eigenen Kinder verloren hatten, gaben sich als Verwandte aus. Sicher konnte sie da nicht sein, aber da sie selbst nichts Genaues über ihre Zukunft wusste, wollte sie im Zweifelsfall auch nicht darauf bestehen, die Kinder zu behalten. Dennoch gab es ihr jedes Mal einen Stich, wenn sie eines von ihnen gehen sah, obwohl sie sich selbst Torheit vorwarf. In den letzten Monaten hatte es durchaus Momente gegeben, in denen sie sich wünschte, frei von allen Kindern und weit weg von Granada zu sein.
    Als sie erfuhr, dass Muhammad endgültig auf seine Herrschaft verzichtet hatte und alle Banu Nasr die Alhambra für immer verlassen mussten, verlor Alscha al Hurra zum ersten Mal seit Menschengedenken ihre fürstliche Würde so weit, dass ihr lautstarker Protest selbst auf den Gängen der Frauengemächer zu hören war.
    »Die Alhambra verlassen? Aber…«
    »Mutter«, fiel Muhammads begütigende Stimme ein, »die Alhambra ist das Symbol der Herrschaft über Granada. Deswegen ist es unmöglich, dass hier weiter Moslems wohnen. Wenn ich der einzige Moslem bin, der seine Heimat verlassen muss, dann ist das ein geringer Preis für den Frieden.«
    »Du redest wie ein Händler«, rief Alscha schneidend. »Preis!«
    Dann sagte sie nichts mehr. Layla, die den Disput gehört hatte, fragte sich, ob sie wohl weinte. Die Mutter des Emirs von Granada zu sein und in der Alhambra zu herrschen, war alles, was Alscha je gewollt hatte. Layla hatte ihre Rache, doch sie fand keine Freude daran. Die Alhambra war zu viele Jahre lang auch ihr Traum gewesen, ihre kühle Schönheit der Strohhalm, an den sie sich klammerte, wenn sie das Heimweh in Kastilien überwältigte.
    Diesmal hatte sie Zeit, um sich auf den Abschied vorzubereiten, doch das machte es nicht leichter. Sie wanderte durch die Höfe mit ihren Alabastersäulen, den reich verzierten Gittern und den Brunnen, und all diese Harmonie war ein Schwert, das sie ins Herz traf. Und dennoch spürte sie zum ersten Mal das Gefühl der Versöhnung. Sie konnte die altehrwürdigen Löwen ansehen und dabei an Tariq und sich denken, wie sie sich zwischen ihnen versteckten, ohne dass sein Tod sie verfolgte, sie konnte durch die Fenster im Bad den Myrtenhof beobachten und sich an ihre Mutter erinnern und ihr verzeihen, ja, sie war fast sicher, dass Isabel auch
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