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Mondgeschöpfe (Phobos)

Mondgeschöpfe (Phobos)

Titel: Mondgeschöpfe (Phobos)
Autoren: Michael Schuck
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Vorhangseilen. In ihm raste es. Die ersten vier Aufzüge waren schon mitreißend gewesen. Seine blutunterlaufenen Augen richteten sich auf dieses wunderbare Publikum. Er war diesen Menschen ausgesprochen dankbar. Sie waren so bereit, sich dem wachsenden Schrecken hinzugeben. Es stank nach Angst.
    Aber Yasons "Schauspieler" hatten auch wirklich alles gegeben. Wo, außer in der "Black Box", floss noch richtiges, rot glänzendes Blut über die Bühne? Yason zitterte, als Bernard, dieser begnadete nekrophile Darsteller, den Mortimer spielte.
    Bernard/Mortimer durchbohrte sich, als er sich von dem Grafen Leicester verraten sah, mit seinem fünfzehn Zentimeter langen italienischen Dolch. Yason seufzte voll behaglichem Bedauern. Einen winzigen Augenblick lang schien Bernard/Mortimer in Panik zu geraten. Das ist bei keiner tödlichen Wunde ganz zu umgehen. Aber dieser Kick der Panik war notwendig, um jene namenlose Flut von Endomorphinen freizusetzen, die Bernard allem menschlichen Leid entheben und sein Bewusstsein seinem Himmel entgegen tragen würde. Yason gönnte dem hingebungsvollen Bernard diesen Augenblick. Er sah ihn auf der Bühne schmerzerfüllt zucken, während sein Blut an der Klinge des Stiletts vorbei auf den Boden schoss. Aber Yason wusste, seine Seele war schon in anderen Sphären. Ein Augenblick, in dem das Publikum orgastisch aufstöhnte. Kostbare Energie flutete auf, als Bernard/Mortimer tatsächlich im letzten Aufseufzen den Vers zusammenbekam:
    "Geliebte, nicht erretten konnt` ich dich,
    so will ich dir ein männlich Beispiel geben,
    Maria, Heil’ge, bitt` für mich
    und nimm mich zu dir
    in dein himmlisch Leben!"
    Mortimer starb. Es war berauschend.
    Yason fühlte jetzt neben der Berauschtheit noch etwas Anderes in sich aufsteigen, das nicht so sehr eitlen Wurzeln entstammte, sondern sachlicheren Gründen entspross. Ihn erfasste eine gewisse Unsicherheit. Es war jedes Mal das Gleiche gegen Ende eines Stückes, kurz vor dem furiosen Finale, da kam die Frage in ihm auf: War es genug? Waren genug Energiefäden gebündelt, um jenen tödlichen Strang zu ergeben, der das ausgesuchte Opfer, das jetzt noch unbelästigt irgendwo in der Stadt seinen alltäglichen Geschäften nachging, plötzlich zu erdrosseln? Oder war es zuviel?
    Konnte diese unglaubliche Energie, durch die mörderischen Emotionen der aufgepeitschten Zuschauer entfacht, sich nicht auch einmal seinen Händen entwinden und dort zuschlagen, wo sie es wollte und nicht dort, wo Yason sie hinbefahl?
    Die Vorhangseile knarrten leise:
    Der fünfte Aufzug.
    Schweiß stand Yason jetzt auf der Stirne. Er hörte Melvils frommes Gemurmel nur mehr mit halbem Ohr. Hingegen konzentrierte er sich ganz auf diese phantastische Unruhe im Zuschauerraum. Yason wusste, es war jene unnennbare Unruhe der Maria Stuart, die von ihr auf die Zuschauer übergriff. Und wen konnte es wundern, sah man doch links schon das Richtschwert blitzen. Die Stimmung wurde immer dichter.
    Das Publikum hörte Marias Worte:
    " Jetzt da ich auf dem Wege bin,
    von der Welt zu scheiden
    und ein sel’ger Geist zu werden,
    den keine ird’sche Neigung mehr versucht..."
    Dies hören und zu wissen, dass Maria/Lalien es völlig ernst meinte...
    Und dann trat Graf Leicester auf, der Schurke dieses Stückes, der miterlebt, wie seine giftige Saat aufgeht.
    Yason hatte Schillers Vorlage etwas geändert. Während Maria Stuart zum Richtblock geführt wird, spricht Leicester vom ersten Stock des Palastes aus. Schiller wollte seinem Publikum die Ansicht der Hinrichtung ersparen. Für Yason aber war es notwendig, die Zuschauer alles sehen zu lassen:
    Die Hinrichtung.
    Leicester:
    "Umsonst! Umsonst!
    Mich fasst der Hölle Grauen,
    ich kann, ich kann das Schreckliche nicht schauen.
    Kann sie nicht sterben sehen –
    Horch! Was war das? Sie sind schon unten -
    Horch! Laut betet sie - mit fester Stimme –
    Es wird still - Ganz still!
    Nur Schluchzen hör ich
    und die Weiber weinen –
    Sie wird entkleidet- Horch!
    Der Schemel wird gerückt –
    sie kniet aufs Kissen –
    legt das Haupt..."
    In Yasons Aufführung sprach Leicester, und was er hörte (jedoch nicht sehen konnte), geschah am anderen Ende der Bühne vor den Augen der  Zuschauer.
    Der Henker hob das Richtbeil. Es blitzte im Licht der Jupiterlampen. Das Schwert fuhr nieder, durchschlug Maria/Laliens schlanken Hals und drang mit dumpfem Laut tief in den Richtblock. Der haltlose Kopf polterte auf den Bühnenboden. Aus dem kopflosen Hals schoss das
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