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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
Autoren: Martin Horvath
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halte ich ihr entgegen. Das ist anders, kontert sie. Pitras Blick ruht auf mir, ich kann keinen Vorwurf darin entdecken, doch es ist ein wissender Blick. Ich weiß, ich weiß, meine Lieben, fahre ich fort, jeder von euch hat viel Trauriges erlebt, aber es nützt nichts, das Erlebte zu verschweigen. Ihr müsst darüber reden, müsst es loswerden, sonst bleibt es für immer in euch gefangen. Doch ich merke schon, ich rede gegen Wände, und so wende ich mich lieber wieder Pitras Curry zu.
    Abends sorgt bei uns im Leo jeder für sein eigenes Essen, abends sind wir also doch erwachsen. Oft genug gibt es noch Reste vom Mittagessen, doch viele meiner Mitbewohner haben einen eigenen kleinen Vorrat an Lebensmitteln und vor allem Gewürzen angelegt und basteln sich daraus ihr eigenes Mahl.
    Nachdem ich vom Mittagessen und von Pitras Curry noch ziemlich angefüllt bin, begnüge ich mich heute damit, Freund Djaafar ein wenig von seinem Salat zu rauben. Djaafar Kalakani kann zumindest nicht lautstark protestieren, denn man hat ihm in seiner Heimat Afghanistan die Sprache aus dem Leib geschlagen, gründlich und Wort für Wort. Alles, was er sagen möchte, schreibt er – manchmal auf Deutsch, meist aber in seiner Mutterschreibe Dari – auf einen kleinen Notizblock, den er immer bei sich trägt. In diesem Fall beschränkt sich sein Protest allerdings auf einen vorwurfsvollen Blick. Protestiere nicht, mein Bruder, tröste ich ihn, Allah wird es dir bald tausendfach vergelten.
    Zur selben Zeit beginnt dann auch der allabendliche Streit über das Fernsehprogramm. Es gibt zwei Fernsehgeräte, eines steht im Wohnzimmer, das andere in einem kleineren Aufenthaltsraum, doch elf Jugendliche wollen gleichzeitig ungefähr zweiundzwanzig verschiedene Sendungen sehen. Die Burschen machen immer, was sie wollen, beschwert sich unser Nesthäkchen Djamila, weil Afrim gerade ihre Lieblingssendung unterbrochen und auf einen Sportsender umgeschaltet hat. Natürlich, entgegnet Großmaul Afrim grinsend, wir sind stärker! Die Mädchen will nur Blödsinn schauen, assistiert Kamal das Kamel. Und Männer reden nur Blödsinn, beißt Nino ihn an. Und Amal verdreht die Augen, und Adolphe zwirbelt sich den Oberlippenflaum, und beide schweigen und ragen meterweit aus dem Kindergarten heraus. Kinder, ich hab’ einen tollen Vorschlag, wirft Mira in die Runde, wir werden die beiden Fernseher einfach verkaufen, dann müsst ihr nicht mehr streiten. Sehr witzig, gibt Djamila zurück. Du sagst immer, mault Kamal. Mira gelingt es letztlich aber trotzdem, die Wogen zu glätten und aus den verschiedenen Wünschen einen Kompromiss zu destillieren. Ich ziehe mich jedenfalls ins Zimmer zurück, denn wozu in die Ferne schauen, wenn die guten Geschichten so nahe liegen …
    Morgen spielen wir Fußball, schreibt Djaafar, der kurz vor elf Uhr zusammen mit Yaya unser Zimmer betritt, kommst du mit? Wir gehen auf die Donauinsel, mit Tony und dem Onkel. Djaafar ist ein eifriger Fußballer, doch ich lehne dankend ab. Es ist Zeit zum Schlafengehen, ab dreiundzwanzig Uhr herrscht offiziell Nachtruhe, und unsere Gefängniswärter legen großen Wert darauf, dass selbige auch eingehalten wird. Es ist wichtig für euch, dass ihr genug Schlaf bekommt, es ist wichtig, dass wieder Regelmäßigkeit in euer Leben kommt, blablabla, man schläft ja auch wirklich ein, wenn man diese Phrasen tagtäglich zu hören bekommt! Und wer abends länger ausbleibt, der muss sehen, wo er bleibt, Wir sind verantwortlich für euch, Es gibt Jugendschutzbestimmungen, an die wir uns halten müssen, so wird uns von allen Seiten eingebläut. Es ist ja nur zu eurem Besten, sagt der Bauer zu den Hühnern, bevor er sie abends in den engen Stall sperrt; des Habichts Schreckgespenst fest ins Dotterhirn gepflanzt, lassen sie es brav mit sich geschehen, gackern nur ein wenig missmutig vor sich hin. Nun hört schon auf zu schimpfen, sagt der Bauer gutmütig. Und da ist sie schon, die Bäuerin unseres Vertrauens. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Alles in Ordnung bei euch, fragt Mira, zwischen Tür und Angel ein Engel. Djaafar nickt. Ja, sagt Yaya, Jaja, sage ich, aber wo bleibt mein Gutenachtkuss? Eine Nuss kannst du haben, gibt Mira grinsend zurück. Warum, frage ich mich seufzend, warum nur gibt es so viel Lieblosigkeit in dieser Welt?
    Djaafar und Yaya sind an sich ruhige und angenehme Zimmergenossen – Djaafar, weil er nicht sprechen kann, Yaya, weil er nicht sprechen will –, wären da nicht die
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