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Mörder Quote

Mörder Quote

Titel: Mörder Quote
Autoren: T Hermanns
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Anzug an, in dem er aussah wie ein Konfirmand, »unser« Uwe, der inzwischen öffentlich alles rechte Gedankengut bereut hatte und sich wohl in einer Therapie befand, die die SuperIllu finanzierte und bezahlte, hatte sich in eine stonewashed Jeans gezwängt, die ihn endgültig weg von Bruce Springsteen und noch weiter hin zu den Puhdys führte, »Fatima« hatte ihr Kopftuch abgelegt und sah jetzt hip und frisch aus wie die Schauspielschülerin aus Berlin-Mitte, die sie ja nun auch war, und Mike Ds Accessoires des Abends waren natürlich der begleitende Polizist und seine Handschellen, die er jetzt stolz ins Licht reckte.
    Was für eine groteske Truppe, sobald sie von einer Bühne runter waren, dachte Tanya. Der Rest vom Schützenfest.
    Neben den Ex-Kandidaten saßen mehrere Zuschauer, die heute die besten Plätze im Studio erhalten hatten und die wegen ihres Alters und ihrer biederen Kleidung eigentlich nicht hierher zu passen schienen, mal ganz abgesehen von ihren viel zu ernsten Gesichtern. Tanya wusste natürlich, dass das die Verwandten von Xena (Mutter, Vater, Bruder), Mephisto (Exfrau, Bürokollegen) und von Chantal (Mutter, Oma) waren, die später für Einzelinterviews dem Moderator zur Verfügung stehen mussten, um noch einmal die sicherlich schlimmsten Momente ihres Lebens vor der Nation auszubreiten. Natürlich aus Gründen des Respekts und der Erinnerung an ihre toten Kinder, Männer, Enkel, Kollegen und Geschwister. Aber es würde heute höchstwahrscheinlich auch die höchste Quote der deutschen TV -Geschichte werden, da waren sich die meisten Medienmacher sicher. Eine Mörder-Quote.
    Und deshalb konnte der Senderchef, der nun als Erstes in dieser langen, langen Show ein paar seriöse Worte an die Welt richten musste (»Das Trockenholz arbeiten wir vorn ab, da schaltet noch keiner weg«, hatte der Regisseur entschieden), kaum sein ernstes Gesicht beibehalten, als er noch einmal vor allen ausbreitete, warum es DIE PFLICHT des Senders sei, diese Show heute auszustrahlen. Aus Respekt vor der erfolgreichsten TV -Show des deutschen Fernsehens (Schnitt auf Tanya), aus Respekt vor den Toten dieser schrecklichen Tragödie (Schnitt auf Chantals Oma) und ganz besonders aus Respekt vor den beiden letzten übrig gebliebenen Kandidaten, ja den ÜBERLEBENDEN (tobender Studioapplaus, nicht einmal durch den Warm-Upper ausgelöst), die so viel Leistung gezeigt hätten in den letzten neun Wochen, so viel Talent, so viel Disziplin, dass man ihnen diese Entscheidung heute Abend, diesen Sieg – oder natürlich auch die NIEDERLAGE – in der wichtigsten Show der Nation einfach nicht versagen DURFTE ! (Wieder Standing Ovations des gesamten Studios.) »Aber …«, und hier hielt nun das ganze Studio den Atem an, »… aber natürlich müsse man sich bewusst sein, welches Risiko die beiden Kandidaten hier heute auf sich nahmen, sie seien ja immer noch in GEFAHR (Lichtwechsel zu Rot auf ganzer Deko), und deshalb würde jeder der beiden, Lilly und Sascha heute nur EIN EINZIGES LIED performen.« (Ein einsames Buh im Publikum, vom Rest des Publikums weggezischt.) Abgang des Senderchefs, Abspiel eines Trailers für ein Gewinnspiel. Als die Make-up-Damen zu Tanya huschten, um sie nachzupudern, spürte sie Nils’ Blick auf sich ruhen. Sie atmete tief durch.
    Von jetzt an, das war Sascha klar, würde es endlos dauern, bis er endlich seinen Song singen dürfte. Da der wirkliche Inhalt der Show – sein und Lillys Lied, die endgültige Abstimmung und dann die Präsentation des Siegersongs »No More Dying« – auf drei Programmpunkte zusammengestrichen worden war, musste nun mit allem anderen zwei Stunden Strecke gemacht werden, während er und Lilly hinten auf dem Sofa saßen (das er inzwischen als »Freilaufgehege« bezeichnete) und die Nerven behalten mussten. Sie durften sich nicht mal mehr umziehen (sobald sie aus dem Bild waren, könnte die Quote sinken), und so saß er schon jetzt da in seinem schönsten roten Smoking und Lilly in ihrem weißen bodenlangen Paillettenkleid, und es war wie die Bank eines Abschlussballes, auf der merkwürdigerweise die beiden Hübschesten übrig geblieben waren. Oder vielleicht auch nicht merkwürdig – denn nicht abgeholt worden waren, wie so oft, die zu Sensible und der Schwule.
    Und während sie da saßen, wurde nun allen Tribut gezollt, denen man Tribut zollen konnte – natürlich den toten Kandidaten, natürlich Pitterchen, aber überraschenderweise auch Michael Jackson, einfach, um Zeit zu
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