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Mörder Quote

Mörder Quote

Titel: Mörder Quote
Autoren: T Hermanns
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Show ein neuer Mensch werden, selbstbewusst, geliebt, groß.
    Oh no, not I
    I will survive
    For as long as I know how to love
    I know I’ll stay alive
    I got all my life to live
    And I’ve got all my love to give
    And I’ll survive
    I will survive
    Hey Hey!
    Sascha drehte sich zum Instrumentalteil der Geigen in völliger Freiheit. Er hatte sich noch nie im Leben so lebendig gefühlt und so sicher. Als er sich auf das Sofa setzte, nach dem völligen Ausrasten des Publikums und den Lobeshymnen der Jury, wusste er, dass er das Ding im Sack hatte. Egal, welches Ass Lilly jetzt noch aus dem Ärmel ziehen würde, er hatte bewiesen, dass er der würdige Sieger dieser Show war, ein echter Star, mit echter Star-Ausstrahlung. Er war sich so sicher, dass er sogar noch zu ihr hinübersehen konnte, während sie nun vom Sofa aufstand, um auf ihre Position zu gehen. »Viel Glück!«, flüsterte er.
    Aber sie hatte es wohl nicht mehr gehört, denn sie schwebte von dannen, ohne zu reagieren.
    Sascha ließ sich schwer atmend ins Sofa sinken und lehnte seinen Kopf gegen die Rückenlehne. Ich bin es, rauschte es immer wieder durch sein Hirn und sein Herz. Ich bin es!
    Tanya wusste, wie gut der Regisseur religiöse Momente inszenieren konnte, und Lillys Lied war die Inkarnation aller Religiosität. Das Licht wurde nun ausschließlich blau, von der Decke fielen dicke schwere Strahlen, die durch den Nebel sichtbar gemacht wurden, wie von Gottes Hand gelenkt. Im Hintergrund war eine abstrakte Form auf der funkelnden LED -Wand zu sehen, irgendetwas zwischen Klosterfenster und Kathedrale. Nicht so katholisch, dass die muslimischen Mitbürger nicht mehr für Lilly anrufen würden, aber »spirituell« genug, dass alle im Raum an ihre eigenen kindlichen religiösen Gefühle erinnert wurden, auch wenn die noch so lange zurücklagen. Während die Celli des im Hintergrund agierenden Leihorchesters aus Budapest die ersten gebrochenen Akkorde intonierten, stand Lilly inmitten aller Kerzen von Köln und war nun nicht mehr und nicht weniger als die Gottesmutter, die sie jetzt besang:
    Ave Maria
    Gratia plena
    Ihr weißes Kleid schimmerte im Licht wie eine Erscheinung. Der Spot von hinten oben zauberte auf ihre Haare einen Heiligenschein.
    Maria, gratia plena
    Maria, gratia plena
    Ave, ave dominus
    Dominus tecum
    Ein 100-köpfiger Kinderchor trat auf.
    Shit!, dachte Sascha.
    Benedicta tu in mulieribus
    Et benedictus
    Et benedictus fructus ventris
    Ventris tui, Jesus.
    Ave Maria
    Die ganze Zeit hatte Lilly voll perfekter stiller Inbrunst gesungen und die Töne perlen lassen, als sei sie eine menschliche Querflöte. Nun hob sie zu einem letzten Aufstieg an, zu einer letzten hohen Note.
    Ave
    Ave
    Und wackelte beim letzten Ton.
    Das ganze Studio zog hörbar die Luft ein. Das ungläubige Entsetzen war greifbar. Lilly, die in der ganzen Sendung noch nie eine Note verpatzt hatte, hatte ausgerechnet bei ihrem letzten Ton versagt.
    Ihr selbst standen Tränen der Fassungslosigkeit in den Augen, die von den Kameras in Großaufnahme auf alle Monitoren im Studio geworfen wurden. Sie hatte es gemerkt. Anscheinend war der Druck der letzten Wochen jetzt doch zu groß geworden. Sie hatte dem nicht mehr standhalten können. Der tosende Applaus, der nun einsetzte, war eher enormes Mitleid als enorme Begeisterung.
    Noch nie war es Tanya so schwer gefallen, ihrer Jurypflicht nachzukommen. Wie ihre beiden Mitjuroren schummelte sie sich eine Minute lang um Lillys letzte Note herum wie ein Radrennsportler um den Dopingtest. Aber sie konnte am Schluss genauso wenig wie ihre Beisitzer vermeiden, das katastrophale Ende der Nummer anzusprechen. Sie lieferte natürlich alle entschuldigenden Argumente gleich mit. Der Zuschauer zu Hause musste doch verstehen, unter welchem Druck Lilly hier stand, nach ALL DEM (Tanya wollte nicht direkt noch einmal auf Lillys Mutter hinweisen). Aber schon während sie redete, spürte Tanya, wie da draußen die Entscheidung gefällt wurde. Und sie würde wie immer in dieser Sendung, seit der ersten Staffel, zu Gunsten von dem ausfallen, der sich nicht versungen hatte.

KAPITEL 42
    An den nächsten Werbebreak und die Zeit bis zur Entscheidung konnte sich Sascha später nicht mehr erinnern. Natürlich hatte er Lillys letzte Note gehört, er hatte sogar ihre kalte Hand gedrückt, als sie sich stumm neben ihm aufs Sofa sinken ließ, aber was jetzt in ihm los war, dafür hatte er später kein Gefühl mehr. Diese zwanzig Minuten zwischen dem Ende von
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