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Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)

Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)

Titel: Mörder im Chat - Ostsee-Krimi : (Aus Rostock)
Autoren: Hinstorff-Verlag
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an ihrer Schule, dem Innerstädtischen Gymnasium, bislang nicht Amok gelaufen, sie hatten noch nicht einmal in einem Supermarkt geklaut – aber irgendeinen Schaden musste das strategische Ballern doch anrichten. Vielleicht verführte es zum Verfassen väterfeindlicher Dreizeiler …
    »Hi, Paps!«, grüßte Marvin megalässig.
    Tim hingegen, antikapitalistischer und antifaschistischer Sohn eines Hörgeräte-Millionärs sowie unter Verdacht, Gelegenheitskiffer zu sein, wusste, was sich gehörte. Er stand auf, deutete einen Diener an und sagte: »Guten Abend, Herr Uplegger!«
    Und diese ganze Höflichkeit war nicht einmal ironisch gemeint!
    Uplegger wusste es längst: Klischees waren die letzte Wahrheit, in ihnen vollendete sich die menschliche Kultur kurz vor dem Aussterben der Gattung, mit dem stündlich zu rechnen war.
    »’n Abend, Jungs. Von wem ist denn der kühne Spruch an der Tür?«
    »Von mir«, erklärte Marvin mit Unschuldsmiene. Sein Blickwechsel überführte ihn der Lüge. Bevor Jonas Torquemada Uplegger jedoch den Verdächtigen genauer inquirieren konnte, wurde an der Haus- oder bereits an der Wohnungstür Sturm geklingelt. Uplegger bedachte seinen Sohn mit fragendem Blick, der zuckte mit den Schultern.
    Das Klingeln wollte nicht enden. Es erfolgte stoßweise und war von einer Penetranz, die man nicht ignorieren konnte. Uplegger ging zur Tür und betätigte die Wechselsprechanlage: »Ja?«
    »Riedbiester«, meldete sich seine Kollegin, ganz außer Atem. »Machen Sie auf! Schnell!«
    »Aber …«
    »Schnell, schnell! Das ist ein Notfall!«
    Wie ein Notfall hörte es sich auch an: Sie schien keine Luft mehr zu bekommen und ersticken zu müssen. Uplegger drückte also den Knopf mit dem Schlüssel-Symbol und trat in den Hausflur, wo er seine Kollegin die Treppe hinaufkeuchen hörte. Trotz ihrer Atemnot war sie erstaunlich behände.
    »Mann, Uplegger, ich komme gerade …« Sie musste abbrechen, öffnete ihre Handtasche und entnahm ihr ein Taschentuch, mit dem sie sich die Stirn trocknete. Trotz herbstlicher Kühle schwitzte sie. »Ich komme gerade von der Selbsthilfegruppe. Dalwitzhofer Weg, also gleich um die Ecke. Oh mein Gott, Uplegger, ich brauche sofort einen Schnaps!«
    »Aber das kann ich nicht machen!«
    »Doch, doch, doch, machen Sie nur! Es ist so furchtbar. Alles Säufer!«
    Uplegger machte eine halbherzig einladende Geste zur Wohnungstür: »Na, nun kommen Sie erst mal herein.«
    Barbara nickte. Sie schob sich an Uplegger vorbei in den Flur, er folgte ihr und schloss die Tür. Marvin und Tim steckten neugierig die Köpfe aus der Zimmertür.
    »Hallo!«, rief Marvin und hob die Hand zum Gruß.
    »Hallo«, erwiderte Barbara.
    »Wer ist denn das?«, erkundigte sich Tim.
    »Kollegin meines Vaters.«
    »Die ist ja ganz schön …«
    »Sssst«, zischte Marvin, dann machte er die Tür zu. Barbara ging unaufgefordert ins Wohnzimmer und ließ sich auf die Couch plumpsen. Sie sah das Grappa-Glas und sagte: »Ich auch.«
    Uplegger schüttelte den Kopf.
    »Sie wissen doch, dass Sie keinen Tropfen zu sich nehmen dürfen, nicht einmal in Form von Hustensaft.«
    »Von mir aus würde ich auch Rasierwasser trinken. Sie machen sich ja keine Vorstellung …«
    »War es denn wirklich so schlimm?«, fragte Uplegger mitleidig.
    »Ein Alptraum! Wie in diesen Filmen, diesen amerikanischen Psychotherapie-Parodien … Man sitzt im Kreis, weil dann jeder jeden sehen kann … Sie wissen, das gilt als kommunikationsfördernd. Bei mir würde ja eher die Anonymität eines Beichtstuhls den Redefluss anregen … nur ein Glas?«
    »Bitte, bringen Sie mich nicht in die Lage, den Erziehungsberechtigten spielen zu müssen.«
    »Den spielen Sie doch sowieso schon!« Diese Spitze konnte sie ihm nicht ersparen. »Ja, und dann redet man eben! Und man duzt sich! Stellen Sie sich das vor, Uplegger, ich musste mich von einer Hand voll Säufern duzen lassen! Trockene Säufer, aber trotzdem!«
    »Sie sind doch selbst …«
    »Nein!« Barbara schlug mit der flachen Hand auf die Lehne. »Mich verbindet nichts mit diesen Menschen, nicht das Geringste. Ich gehe ja auch nicht zu Gruppen von Leuten mit fettigen Haaren … Obwohl ich da lieber hinginge, denn vielleicht finde ich endlich das richtige Shampoo. Ein halbes Glas? Bitte!«
    Erneut schüttelte Uplegger den Kopf. Er war ohnehin frustriert. Nicht genug, dass er zwei testosteronüberschwemmte Bengels im Haus hatte, die hungrig waren, nun musste er auch noch Sozialarbeiter für seine
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