Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht
Autoren: Phil Rickman
Vom Netzwerk:
Zelle.
    Sie spülte ihre Zigarette in der Toilette herunter.
    Also los, zurück in die
Twilight Zone
.
     
    Im Flur gab es immer noch Spinde und Garderobenhaken aus der Zeit, in der eine reformpädagogische Institution aus den Midlands die Kapelle als Schule genutzt hatte. Vor ein paar Jahren hatte in aller Diskretion ein Besitzerwechsel stattgefunden, und nun waren die Kirche von England und die Kirche in Wales die gemeinsamen Eigentümer, wenn auch sogar innerhalb der Kirche kaum jemand wusste, dass die Kapelle derzeit als Ausbildungsstätte für Exorzisten diente.
    Die Tür zu dem großen Raum mit dem rohen Mauerwerk stand offen, und Merrily hörte eine gedämpfte Unterhaltung und dann ein schrilles, affektiertes Lachen. Charlie Headland lehnte am Türrahmen und aß Kartoffelchips. Er hielt Merrily die Tüte hin.
    «Garnelen-Mayonnaise-Geschmack.»
    Merrily nahm ein paar Chips. Charlie blickte beifällig auf sie herunter.
    «Sie haben wirklich Mut, Mrs.   Watkins.»
    «Warum? Weil ich mich in eine Spuk-Toilette getraut habe?»
    Charlie gluckste in sich hinein. Sobald er eine Gelegenheit fand, legte er den Arm um Merrily und drückte sie an sich. Außerdem hatte er ihr schon zweimal auf den Hintern geklopft.
    «Sie würden nicht mehr lachen», sagte Merrily, «wenn das Ding in der Herrentoilette wäre.»
    Charlie zog ein Gesicht und nickte, kaute einen Moment lang nachdenklich und tätschelte dann kurz ihren Arm. «Sie haben ein kleines Mädchen, habe ich gehört.»
    «Nicht mehr. Sie ist jetzt eine Frau, hat sie mir erklärt. Gerade sechzehn geworden.»
    «Oh, das ist natürlich etwas ganz anderes. Und wo haben Siediese Frau untergebracht? In angemessener Sicherheitsverwahrung, kann man nur hoffen.»
    «Sie ist bei Freunden im Dorf. Nicht in diesem Dorf – bei uns zu Hause.»
    Charlie knüllte seine Chipstüte zusammen, warf sie in die Luft und fing sie wieder auf. «Ich vermute, er hat das erfunden, wissen Sie.»
    «Wer?»
    «Huw. Diese Geschichte über den Fegefeuer-Prediger, der in der Damentoilette gestorben ist. Es passt einfach zu gut.»
    Merrily zog die Tür zu, damit ihnen keiner zuhörte. «Warum sollte er das tun?»
    «Er denkt sich für uns alle kleine Tests aus, glaube ich. Und für Sie ganz besonders. Sie sind die einzige Frau in der Gruppe, also gibt es einen Ort, an den Sie
allein
gehen müssen. Wenn Sie plötzlich angefangen hätten, verkrampft dazusitzen und sich zu beherrschen, bis Sie wieder im Hotel sind, hätte er gewusst, dass Sie ein bisschen ängstlich sind. Und wenn Sie händereibend zurückgekommen wären und erklärt hätten, dass Sie einen verdächtigen Fleck entdeckt haben, dann hätten Sie damit gezeigt, wie leicht man Sie beeindrucken kann.»
    «Es wäre bei den Lichtverhältnissen hier ziemlich schwierig, einen verdächtigen Fleck auch nur zu
sehen

    «Da haben Sie recht», sagte Charlie. «Ziemlich spartanisch alles. Damit haben die meisten vermutlich nicht gerechnet. Und mit jemandem wie Huw auch nicht. Unheimlich durchschnittlich, finden Sie nicht? Clive ist richtig beleidigt – hat so einen ernsten, hochgebildeten Menschen wie seinen früheren Altphilologieprofessor in Eton erwartet.»
    «Und was halten Sie selbst von ihm?»
    «Nach fünfzehn Jahren bei der Armee? Kein Problem für mich. Trotzdem ein merkwürdiger Typ, der alte Huw. Hat einiges erlebt,das ist sicher. Trägt seine Narben mit Stolz.» Charlie bohrte die Hände in die Taschen seines Jacketts. «Ich glaube, Huw soll uns klarmachen, wo wir zurzeit stehen.»
    «Und das wäre?»
    Er nickte in Richtung Tür. «Schutzlos in der Kälte – kurz vor dem Abgrund. Die halbe Geistlichkeit gibt mehr oder weniger offen zu, nicht mehr an Gott zu glauben, und was tun wir? Wir erzählen uns Gruselgeschichten von
Atmern
und
Anhaltern
und
Ruhelosen

    Nicht zum ersten Mal seit ihrer Ankunft erschauerte Merrily. «Was genau ist ein
Anhalter
, Charlie?»
    «Nach was klingt es denn für Sie?»
    «Nach jemandem, der umsonst mitgenommen werden will?»
    «Und zwar den ganzen Weg bis zur Hölle, schätze ich», sagte Charlie.
    «Wir sollen es nicht dramatisieren», erinnerte ihn Merrily, als sich die Tür öffnete und Huw mit seinem Zottelhaar und seinem an den Rändern leicht vergilbten Hundekragen vor ihnen auftauchte.
    «Ich würde jetzt gern ein Video zeigen», sagte Huw zögernd. «Wenn Sie einverstanden sind.»
    Merrily verkündete fröhlich: «Mir ist in der Damentoilette überhaupt nichts Besonderes aufgefallen, Huw.»
    Huw
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher