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Mitternachtsschatten

Mitternachtsschatten

Titel: Mitternachtsschatten
Autoren: Anne Stuart
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zurück und schloss die Augen. Sie wünschte, sie hätte sich die Fingernägel maniküren lassen. Ihre Großmutter hatte immer gesagt, dass keine Frau der Welt sich mit gepflegten Fingernägeln jemals unsicher fühlen würde. Zwar zweifelte sie daran, dass künstliche Nägel ihr im Augenblick helfen könnten, aber einen Versuch wäre es wert gewesen.
    Vielleicht sollte sie den Rat des Drachens Mrs. Afton annehmen und ganz offiziell ein Treffen mit ihrem Vater vereinbaren. Dann könnte sie ein anderes Mal mit manikürten Händen und vielleicht sogar mit einem anständigen Haarschnitt zurückkommen. Jackson Meyer mochte ihr langes Haar nicht. Sie könnte es ja mit einem kürzeren und fransigen Schnitt versuchen, mit einer Frisur, wie Meg Ryan sie trug. Das Problem war nur, dass sie überhaupt nicht der süße und freche Typ war. Sie war groß und kräftig, hatte unmodern langes dunkelbraunes Haar, und egal, was sie anstellte, sie würde sich niemals in eine anbetungswürdige, feminine Frau verwandeln. Auch nicht mit einer Maniküre.
    Tief atmen, befahl sie sich selbst. Beruhige dich, lass nicht zu, dass du seinetwegen so nervös bist. Stell dir vor, wie du ganz langsam eine Treppe hinuntersteigst und wie sich dein Körper entspannt. Zehn, neun, acht …
    Irgendjemand beobachtete sie. Während ihrer Meditation war sie wohl eingenickt, doch jetzt spürte Jilly, wie sie angestarrt wurde. Wenn sie die Augen nicht aufmachte, würde er vielleicht einfach wieder verschwinden. Ihr Vater konnte es ja nicht sein, er würde seinen Tagesablauf von ihr nicht durcheinander bringen lassen. Mrs. Afton war es auch nicht, denn die wäre bestimmt durchs Zimmer gelaufen und hätte sie wachgerüttelt.
    Andererseits, dachte Jilly, kann man sein Leben nicht in den Griff bekommen, wenn man sich hinter geschlossenen Augen versteckt. Sie blinzelte und wunderte sich, wie dämmrig es in dem Raum inzwischen geworden war. Es musste schon spät sein. Der Himmel, den sie durch das große Fenster sehen konnte, färbte sich bereits dunkel, und der Mann, der sie betrachtete, stand in Schatten gehüllt in der Tür.
    In dem Geschäftsgebäude war es still geworden, sie war alleine mit einem Fremden. Grund genug, sich jetzt eigentlich zu Tode zu fürchten. Doch sie war ja eine vernünftige Frau.
    „Sind Sie dort festgewachsen?“ fragte sie scharf, zwang sich, nicht zu schnell vom Sofa aufzustehen, und widerstand dem Impuls, den kurzen Rock über ihre Schenkel zu ziehen, denn dadurch würde sie nur seine Aufmerksamkeit darauf lenken.
    Er schaltete das Licht an, und sie konnte sich einen Moment lang nicht orientieren.
    „Es tut mir Leid, dass Sie so lange warten mussten. Mrs. Afton hat mir einen Zettel auf den Tisch gelegt, auf dem steht, dass Sie mit mir sprechen wollen. Aber ich habe ihn eben erst gesehen.“
    „Auf Sie habe ich nicht gewartet. Ich weiß ja nicht einmal, wer Sie sind. Ich bin hier, um mit Jackson zu sprechen.“
    Jetzt trat er in den Raum, sein Lächeln war herablassend und charmant – und völlig unecht.
    „Ihr Vater hat mich gebeten, mich um Sie zu kümmern, Jillian. Mein Name ist …“
    „Coltrane“, fügte sie hinzu. „Das hätte ich sofort wissen müssen.“
    „Wieso?“
    „Mein Bruder hat mir von Ihnen erzählt.“
    „Nicht viel Schmeichelhaftes, schätze ich“, sagte er leichthin. Seine Stimme klang nicht so sanft wie die der Kalifornier, doch sie konnte seinen Akzent nicht deuten, deshalb vermutete sie, dass er aus dem Mittleren Westen kam. Für sie war das der einzige Hinweis darauf, dass er nicht dem direkten Umfeld ihres Vaters entstammte.
    „Kommt ganz darauf an, was sie unter schmeichelhaft verstehen“, sagte Jilly und überlegte, wie sie ganz unauffällig in ihre Schuhe schlüpfen konnte. Er war sowieso schon ziemlich groß, da konnte sie ihm doch nicht auch noch ohne Absätze gegenübertreten.
    Wie hatte Dean ihn beschrieben? Als einen hübschen Jungen mit der Seele einer Schlange? Das erschien ihr passend. Er war wirklich attraktiv, ohne den femininen Zug, der meist mit so außergewöhnlich gutem Aussehen einherging. Sie hatte keine Ahnung, ob er homosexuell war oder nicht, davon abgesehen, dass sie das auch gar nicht interessierte. Denn unabhängig von seinen Neigungen war er auf jeden Fall tabu für sie. Wie jeder, der mit ihrem Vater zu tun hatte.
    Aber es war eine Freude, ihn anzusehen. Alles an ihm war perfekt: die sonnengebleichten Haare, der Anzug von Armani und das am Kragen geöffnete Hemd aus
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