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Mitternachtserwachen

Mitternachtserwachen

Titel: Mitternachtserwachen
Autoren: Linda Mignani
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polierte Holz und zog schnell die Hand zurück, weil ein elektrischer Impuls ihren Arm hochjagte. Seltsam. Wahrscheinlich hatte sie sich statisch aufgeladen.
    Entschlossen steckte sie den Schlüssel in das Schloss und öffnete die Tür. Als sie über die Türschwelle trat, erfasste sie ein eigenartiges Kribbeln. Obendrein hatte sie das Gefühl, gegen eine weiche Barriere zu laufen, die erst standhielt, dann jedoch nachgab. Sie betraten den Empfangsraum mit pastellgelben Wänden, weißem Stuck und einem ehemals glänzenden cremefarbenen Fliesenboden. Sobald sie ihn gereinigt hatte, würde er in seiner ursprünglichen Schönheit erstrahlen.
    Wow!
    Von außen hatte es nicht so riesig ausgesehen. Sieben Zimmer? Schon allein im Erdgeschoss zählte sie fünf Türen, und es gab noch zwei Stockwerke. Die Fenster wirkten von drinnen viel größer als von draußen.
    Eine optische Täuschung?
    „Oh mein Gott. Togo, sieh dir das an.“ Ihre Stimme hallte in der weitläufigen Halle.
    Ein Gemälde beanspruchte ihre ganze Aufmerksamkeit.
    Bei den Heiligen!
    So einen Kerl hatte sie noch nie zu Gesicht bekommen. Hatte der Maler ihn vermännlicht? Er besaß nicht die klassische Schönheit eines Models, sondern sah düster auf den Betrachter herab. Er erinnerte sie an eine sadistisch dreinschauende Version von Adrian Paul aus Highlander . Ob seine Augen wirklich diesen hellen blauen eindringlichen Ton aufwiesen? Und die muskulöse Brust, die in dem dunkelroten Hemd steckte, war ein klares Indiz, dass der Künstler übertrieben hatte. Vielleicht hatte der Auftraggeber ihm mit dem Tod gedroht, falls das Gemälde ihm nicht zusagte. Offensichtlich hatten auch die Maler in der Renaissance Photoshopping betrieben. Den leckeren Happen in der engen Hose würde sie nicht von der Bettkante schubsen, stattdessen ihn an das Bett fesseln und sich mit ihm eine Nacht lang vergnügen.
    Sie kicherte nervös. Die Vorstellung, dass er sie fesselte, um mit ihr zu tun, was ihm in den Sinn kam, gefiel ihr viel besser.
    Mit Ralph hatte sie gerne SM-Spielchen gespielt, nichts Grausames, aber dennoch intensiv. Sie mochte es, wenn ein Kerl, dem sie vertraute, sie beim Sex dominierte, sie zwang, ungezügelte Begierde zu empfinden, und ihr mit harter Hand den Arsch versohlte. Seit Ralphs Tod hatte sie keinen Sex mehr gehabt, und ganz langsam erwachte in Aileen die Sehnsucht, in den Armen eines Mannes zu liegen, der stark genug war, ihren Verstand zum Stillstand zu bringen, während er ihr unanständige Dinge antat. Ob das Gefühl des Verlustes jemals erträglicher wurde? Halbherzig ignorierte sie das dumpfe Klopfen in ihrem Herzen, das so unendlich schmerzte. Entschlossen straffte sie die Schultern. Sie musste endlich nach vorn blicken und begreifen, dass sie Ralph für immer verloren hatte und er nur in ihrer Seele und ihren Erinnerungen weiterlebte.
    Die Flügeltüren zu den angrenzenden Zimmern standen offen. Togo und sie sahen nach oben zu der Galerie, und sie wusste, die dritte Tür von links war der Tatort.
    „Komm, Wauzi, wir bringen es hinter uns.“
    Wenn Togo nicht vierzig Kilo wiegen würde, hätte sie ihn auf den Arm genommen, um seine beruhigende Wärme zu halten. Er sah sie mit einem Ausdruck an, der viel zu intelligent für einen Vierbeiner wirkte. Es fehlte nur noch, dass er sich die Nachrichten ansah. Togo saß immer vor dem Fernseher, wenn sie Underworld schaute, und sie könnte schwören, es waren seine Lieblingsfilme. Er hatte wohl ein Auge auf Kate Beckinsale geworfen. Sie kicherte bei der Vorstellung, sich in das enge Kostüm zu quetschen, und tätschelte sein seidiges Haupt.
    Der Tierarzt hatte gemeint, dass Togo zwar wie ein reinrassiger Labrador aussah, aber dass noch eine andere Rasse in ihm steckte, die mehr einem Bären entsprach als einem Hund.
    „Ich befürchte, Mrs McBride, Togo könnte leicht sechzig oder gar siebzig Kilogramm erreichen. Sehen Sie sich doch nur die riesigen Pfoten an.“ Begeistert hatte er Togo hinter den Ohren gekratzt.
    Während sie die Treppe hochstieg, schien sie größer zu werden, die Stufen zahlreicher. Die Atmosphäre eines Mordhauses verursachte anscheinend Halluzinationen, bei der sich die Architektur mit jedem Schritt veränderte. Am Treppenabsatz angekommen, blickte sie blinzelnd nach unten. Wie seltsam sie sich fühlte! In Watte eingewickelt und als hätte sie auf nüchternen Magen einen sechsfachen Espresso getrunken. Ihr Gehirn riet ihr zu flüchten, solange es noch nicht zu spät war. Doch ihre
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