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Mitten in der Nacht

Mitten in der Nacht

Titel: Mitten in der Nacht
Autoren: Nora Roberts
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Tat.« Sie setzte sich neben ihn.
    »Ich hörte die Stimmen. Es sind Frauen da, die mir helfen. Ich kann ihre Gesichter sehen – vor allem das der jungen. Sie muss etwa mein Alter haben – Abigails Alter. Ich fühle, wie mir der Schweißüber die Stirn rinnt, und diese unglaubliche Müdigkeit. Und dann dieses Gefühl, der Höhepunkt von allem, als ich glaube aufgerissen zu werden. Dann das Pressen und die Erleichterung, die Taubheit, dieses verdammte Wunder Leben in die Welt zu stoßen. Und als sie mir dieses Wunder dann in die Arme legen, erfüllen mich Stolz und Liebe.«
    Er schaute auf seine Hände hinab, während Lena ihn anstarrte. »Ich kann das Baby sehen, Lena, so deutlich wie das Leben sehe ich sie. Ganz rot und schrumpelig und mürrisch. Dunkelblaue Augen, dunkle Haare. Einen Rosenknospenmund. Winzige, schlanke Finger und ich dachte: Es sind zehn und sie ist vollkommen. Meine vollkommene Rose.«
    Jetzt blickte er Lena an. »Marie Rose, deine Ur-Urgroßmutter. Marie Rose«, wiederholte er, »unsere Tochter.«
     

20
    Ihre Tochter. Das konnte sie nicht einfach abtun, denn tief in ihr trauerte etwas. Aber sie konnte nicht darüber sprechen, wollte nicht darüber sprechen, nicht solange Kopf und Herz so schwer waren.
    Lena stürzte sich wieder ins Gewühl, in die Musik, in das Gelächter. Das war jetzt, dachte sie. Das Jetzt zählte.
    Sie war lebendig, spürte unter dem weißen Mondlicht die warme Abendluft auf ihrer Haut und badete in der Duftorgie der Blumen und des Gartens.
    Rosen, Verbenen, Heliotrop, Jasmin.
    Lilien. Ihre Lieblingsblumen waren Lilien gewesen. Immer hatte sie welche in ihrem Zimmer gehabt. Erst im Dienstbotentrakt, dann in ihrem Schlafzimmer. Heimlich im Garten oder im Treibhaus geschnitten.
    Und für das Kinderzimmer gab es Rosen. Winzige rosa Knospen für ihre kostbare Marie Rose.
    Erschrocken schob sie diese Gedanken, diese Bilder beiseite. Sie grapschte sich einen Partner und verführte ihn zum Tanz.
    Sie wollte die Vergangenheit nicht. Sie war tot und vorbei. Die Zukunft wollte sie auch nicht. Diese war unberechenbar und oft grausam. Der Augenblick musste gelebt und genossen werden. Und auch kontrolliert.
    Und so lächelte sie Declans Vater strahlend an, als er ihre Hand ergriff.
    »Das hier ist ein Cajun-Twostep. Schaffen Sie das?«
    »Lassen Sie es uns versuchen.«
    Schwungvoll kreisten sie mit den anderen Paaren in raschen, eleganten Bewegungen über die Tanzfläche, und Lena sah lachend zu ihm hoch. »Also Patrick, Sie sind ein Naturtalent. Sind Sie sicher, dass Sie ein Yankee sind?«
    »Durch und durch. Aber wir dürfen den irischen Einfluss nicht außer Acht lassen. Meine Mutter war eine hervorragende Steptänzerin, und nach ein paar Pints kriegt sie es immer noch hin.«
    »Wie alt ist Ihre Mama?«
    »Sechsundachtzig.« Er wirbelte sie nach außen und dann wieder zurück. »Die Fitzgeralds sind langlebig und zäh. Irgendetwas hat Sie aufgebracht.«
    Sie behielt ihren fröhlichen Ausdruck bei. »Was sollte mich denn an so einem schönen Ort und zu so angenehmer Stunde aufbringen?«
    »Das ist ja das Rätsel. Wie wär's mit einem Glas Champagner und Sie erzählen es mir?«
    Er gab ihr keine Gelegenheit, sich zu verweigern. Wie der Sohn so der Vater, ging es ihr durch den Kopf, als er ihre Hand fest in seiner hielt. Er zog sie an die Bar, ließ sich zwei Flöten voll Champagner geben und führte sie dann nach draußen.
    »Ein vollkommener Abend«, sagte sie und sog ihn in sich auf. »Sehen Sie sich den Garten an. Kaum zu glauben, wie verwildert der noch vor ein paar Monaten war. Hat Declan Ihnen von den Franks erzählt?«
    »Von den Franks, von Tibald. Von Effie und Miss Odette. Von den Geistern, von Ihnen.«
    »Er hat sich hier eine Menge zugemutet.« Sie trank ihren Champagner und ging auf die Balustersäule zu. Unten auf dem Rasen wurde ebenfalls getanzt. Ein Grüppchen Frauen saß an einem der weißen Tische unter dem weißen Mond, einige von ihnen hatten schlafende Babys an ihren Schultern, andere müde Kinder auf dem Schoß.
    »In Boston hat er sich gelangweilt.«
    Verwirrt wandte Lena ihren Blick von den Leuten und den bunten Lichtern ab und sah Patrick an. »Gelangweilt?«
    »Er war unglücklich und rastlos, aber vor allem hat er sich gelangweilt. Seine Arbeit, seine Verlobte, sein Leben – alles langweilig. Das Einzige, was sein Gesicht mit Begeisterung erfüllte, war das alte Haus, das er renovierte. Ich war in Sorge, er könnte so weitermachen und wäre am Ende mit
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