Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mitten in der Nacht

Mitten in der Nacht

Titel: Mitten in der Nacht
Autoren: Nora Roberts
Vom Netzwerk:
hatte, hatte sie verloren. Bei Josephine Manet gab es feste Regeln für das Benehmen, für die Nutzung der Räume des Hauses und für die Art und Weise, wie Traditionen gepflegt wurden. Madame Josephine, überlegte Abigail, als sie lautlos an den anderen Schlafzimmertüren vorbeihuschte, hatte von allem eine unumstößliche Vorstellung. Auf jeden Fall gehörte ein drei Monate altes Baby in das Kinderzimmer und in die Obhut eines Kindermädchens und nicht in eine Wiege in einer Ecke des elterlichen Schlafzimmers.
    Flackernd tanzte das Kerzenlicht über die Wände, als Abigail die immer schmaler werdende Treppe nach oben stieg. Wenigstens war es ihr gelungen, Marie Rose sechs Wochen lang bei sich zu behalten. Und die Wiege zu benutzen, die Teil ihrer eigenen Familientradition war. Ihr grand-père hatte sie geschnitzt. Ihre eigene Mutter hatte darin geschlafen und dann siebzehn Jahre später Abigail darin gebettet.
    In dieser alten Wiege hatte Marie Rose, dieser winzige Engel, die ersten Nächte verbracht, in unmittelbarer Nähe ihrer sie abgöttisch liebenden, aufgeregten Eltern.
    Ihre Tochter würde einmal die Familie ihres Vaters und deren Gepflogenheiten respektieren. Aber Abigail war entschlossen, dass ihr Kind auch die Familie ihrer Mutter respektierte und deren Lebensstil kennen lernte.
    Josephine hatte sich über das Baby und die handgemachte Wiege aufgeregt und zwar mit solcher Ausdauer, dass Abigail und Lucian schließlich nachgegeben hatten. Auf diese Weise würde Wasser den Fels besiegen, hatte Lucian gemeint, denn es arbeitet unermüdlich, bis der Fels schließlich nachgibt oder mürbe wird.
    Jetzt verbrachte das Baby seine Nächte im Kinderzimmer und lag in dem in Frankreich hergestellten Kinderbett, in dem seit über einem Jahrhundert die Babys der Manets ihren Schlaf fanden.
    Abigail tröstete sich damit, dass dieses Übereinkommen seine Richtigkeit und sogar seine Annehmlichkeiten hatte. Ihre petite Rose war eine Manet. Sie würde eine Dame sein.
    Wie Madame Josephine schließlich immer wieder mit Nachdruck betont hatte, werde auf diese Weise der Schlaf der anderen Hausbewohner nicht durch quengelige Schreie gestört. Egal, wie man solche Fragen sonst im Bayou regeln mochte, hier in Manet Hall hütete man die Kinder im Kinderzimmer.
    Wie sich ihre Lippen gekräuselt hatten, als sie dies sagte. Bayou – als wäre es ein Wort, das man nur in Bordellen und Bars aussprach.
    Doch es machte nichts, dass Madame Josephine sie hasste, dass Monsieur Henri sie ignorierte. Es war auch nicht von Belang, dass Julian sie mit Blicken bedachte, mit denen kein Mann die Frau seines Bruders ansehen sollte.
    Lucian liebte sie.
    Es war auch nicht schlimm, dass Marie Rose im Kinderzimmer schlief. Ob sie nun durch ein Stockwerk oder durch einen Kontinent voneinander getrennt waren – Abigail spürte Marie Roses Bedürfnisse wie ihre eigenen. Das Band war so stark, so wahrhaftig, dass es nie zerrissen werden konnte.
    Mochte Madame Josephine auch Schlachten gewinnen, den Krieg hatte Abigail gewonnen, das wusste sie. Sie hatte Lucian und Marie Rose.
    Im Kinderzimmer brannten Kerzen. Das Kindermädchen Claudine traute dem Gaslicht nicht. Claudine hielt Marie Rose bereits im Arm und versuchte sie mit einem Zuckernuckel zu beruhigen, aber die vor Wut geballten Fäuste des Babys zitterten.
    »Wie wütend sie werden kann.« Abigail stellte die Kerze ab und lachte, als sie mit bereits ausgestreckten Armen das Zimmer durchquerte.
    »Die weiß genau, was sie will und wann sie es will.« Claudine, eine hübsche Cajun mit müden dunklen Augen, drückte das Baby nach einmal kurz an sich, ehe sie es Abigail reichte. »Sie hat bis jetzt noch so gut wie keinen Lärm gemacht. Ich weiß gar nicht, wie du sie da unten hören kannst.«
    »Ich höre sie mit meinem Herzen. Na komm, bébé. Maman ist da.«
    »Die Windel ist nass.«
    »Ich leg sie trocken.« Abigail rieb ihre Wange an der des Babys und lächelte. Claudine war eine Freundin – diese Schlacht hatte sie gewonnen. Wie tröstlich war es doch, sie im Kinderzimmer, im Haushalt zu haben, eine Gesellschaft, die keiner aus Lucians Familie ihr anbieten würde.
    »Geh doch wieder ins Bett. Wenn ich sie gestillt habe, wird sie bis morgen schlafen.«
    »Sie ist ein echter Goldschatz.« Claudine strich mit ihren Fingerspitzen über Marie Roses Locken. »Wenn du mich nicht brauchst, mache ich vielleicht einen Spaziergang zum Fluss. Jasper wird dort sein.« Ihre dunklen Augen leuchteten. »Ich habe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher