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Mittelalterliche Klöster: Deutschland - Österreich - Schweiz

Mittelalterliche Klöster: Deutschland - Österreich - Schweiz

Titel: Mittelalterliche Klöster: Deutschland - Österreich - Schweiz
Autoren: Jens Rüffer
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„Hirsauer Formular“, einer Urkunde König Heinrichs IV. (1065 – 1106) aus dem Jahr 1075, zum Ausdruck, deren Echtheit lange bezweifelt wurde. Hierin bestätigte der König dem Kloster sämtliche Rechte.
    Im ausgehenden Jahrzehnt kam es zu einer bedeutenden Zäsur. Abt Wilhelm entschied, die Gewohnheiten von Cluny zu übernehmen. Im Ergebnis wurden die von ihm zwischen 1085 – 1089 verfassten Constitutiones Hirsaugiensis eingeführt. Sie bestehen aus dem Prolog und zwei Büchern, ohne den Liber Ordinarius , der die liturgischen Bestimmungen zum Gottesdienst enthält. Im Prolog – der in den ältesten Handschriften noch fehlt – gibt Wilhelm Auskunft über die Umstände der Übernahme. Abt Bernhard von Saint-Victor in Marseille, der ihn als päpstlicher Legat in Hirsau besuchte, machte ihn auf die Gewohnheiten von Cluny aufmerksam. Sein Freund aus Regensburger Tagen, Ulrich, nun Mönch in Cluny, empfahl sie ihm ebenfalls anlässlich eines Besuches und schickte später eine Abschrift in zwei Büchern nach Hirsau. Schließlich soll ihm Abt Hugo von Cluny geraten haben, die cluniazensischen Gewohnheiten für sein eigenes Kloster anzupassen. Dem Rat folgend wurden die Bestimmungen in Details verändert und ergänzt. Wilhelm schickte sogar mehrmals Mönche nach Cluny, um den Alltag im Lichte des normativen Textes möglichst authentisch beurteilen zu können.
    Von der Vorstellung getrieben, nichts dem Zufall zu überlassen, auch nicht mit Blick auf alltägliche Verrichtungen, bilden die Gewohnheiten, wie die |19| Studie von Gerd Zimmermann zeigt, trotz ihres normativen Charakters eine profunde Quelle zur Rekonstruktion klösterlichen Alltagslebens.
    Grundlegend für das Verhalten eines Mönches war die Anschauung, dass sich dessen geistige Haltung auch in seinem Habitus ausdrücken sollte, dem homo interior der homo exterior korrespondiere, eine innere Einstellung eine adäquate äußere Ausdrucksform erfordere. So wurde selbst banalen Verrichtungen, wie dem Zubettgehen oder dem Gang auf die Latrine, eine erstaunliche Aufmerksamkeit zuteil. Es ging dabei nicht nur um Affektbeherrschung. Im Mönchtum cluniazensischer Prägung avancierten hygienische Standards zum ästhetischen Prinzip. Dabei war der Grat zwischen gelebtem Ritus und formalisiertem Ritual recht schmal. Aber es ging nicht nur darum. Abt Wilhelm, ein kluger, weitsichtiger und frommer Mann, vermochte es, schenkt man seiner Vita (7) Glauben, die Reformideen authentisch durch eigenes Beispiel vorzuleben, Worte und Taten in Einklang zu bringen. Er wollte weder aufwendige Kleider für die Mönche noch für die Liturgie. Als Abt aß er mit den Mönchen im Refektorium und verzichtete auf Sonderkost. Auch nahm er aus Gründen der Demut Abstand von Ehrbezeigungen wie dem Hand- oder Kniekuss.
    Die spirituellen Grundlagen der Hirsauer Reform finden sich bereits bei den Kirchenvätern. Um diese angemessen verwirklichen zu können, waren die freie Wahl des Abtes und die relative Unhabhängigkeit gegenüber den Landesherren besonders wichtig. Weltverachtung ( contemptus mundi ) und apostolisches Leben ( vita apostolica ) galt es unter den zeitgenössischen Umständen zu verwirklichen. „Viele Adlige und Nichtadlige, Geistliche und Laien, aber auch Mönche aus anderen Klöstern“, so der Chronist der Petershauser Chronik (II,48) über Hirsau, „strömten dort zusammen; und aus dem Sturm des Fluches, der damals das Schiff der Kirche umbrandete, retteten sie sich gleichsam wie aus einem schweren Schiffbruch in den Hafen und freuten sich, daß sie Ruhe und das ersehnte Heil gefunden hatten.“ In Analogie zu den sechs Flügeln des Cherubim setzte der Chronist die Teile des Mönchsgewandes mit Werten wie Weltverachtung ( contemptus mundi ), Gehorsam ( oboedientia ), Stillschweigen ( silentium ), ein Leben fern vom Getöse der Welt ( sequestratio a mundi strepitu ), Meditation über das Wort Gottes ( meditatio divinae lectionis ) und immerwährendes Gebet ( assidua oratio ) symbolisch in Beziehung (Prolog, 2). Doch war auch theologisch gebildeten Zeitgenossen wie Honorius Augustodunensis klar, dass selbst das Kloster kein vollkommener Ort sein könne. Das Paradoxon, die Welt zu fliehen und doch nicht ganz aus ihr scheiden zu können, zwang in allen Zeiten zu Kompromissen. Die Geschichte der Kompromisse spiegelt das Leben im Paradies auf Erden.
    Während die Regel Benedikts im Kontext des Laienmönchtums eine Ausgewogenheit von Arbeiten, Ruhen und Beten vorsah, war diese
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