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Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge

Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge

Titel: Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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einmal vollnehmen darf, ein Polyhistor
meiner selbst und meiner Umgebung, der sich nur allzu gern auf Abwege begibt
und sich dabei aus den Augen verliert, solange uns noch Abwege und Augen
offenstehen.
    Dafür aber steht es jedermann
frei, seine Identitätskrise mitzubringen. Ich bin, bis zu einem gewissen Grade,
bereit, Gästen auf der Suche nach ihrem Selbst zu helfen. Die Suche ist
allerdings meist so vergeblich, wie eben die Suche nach etwas ist, was einem,
wie ich gesagt zu haben meine, zum Hals heraushängt, in welcher Hängelage sie
übrigens keineswegs die einzige reaktive Erscheinung ist, derer sich ein
weniger Mitfühlender erwehren würde, was ich vollauf verstehe. Wes der Mund
voll ist, dem geht das Herz über, seien wir also froh, daß der Magen nicht
mitkommt. Dennoch hat sich bei mir schon so mancher gefangen und sich dadurch
befreit. Aber Du, lieber Max, bist ja, soweit ich weiß, frei und solltest daher
kommen, bevor es drei schlägt. Alle Probleme, Neurosen, Psychosen werden uns im
Flug vergehen. Es wird uns alles vergehen, lieber Max, das Hören und das Sehen,
als erstes aber das Lachen.

Glossarium

KALAUER
     
    Die Etymologie hat
nachgewiesen, daß Kalauer nicht aus Calau stammen. Sie stammen aus Luckau. Ich
weiß es, ich bin im Grenzgebiet beider Kreise aufgewachsen. Luckau hat eine
Strafanstalt, Calau hat gar nichts.
    Die kleinen, doldenförmig
angeordneten Blüten brechen schon zeitig im Frühjahr aus dem noch gefrorenen
Boden. Sie sind anspruchslos; wenn es keinen Regen gibt, ist ihnen auch ein
Vortrag recht. Für Sonne bedanken sie sich. Sie sind lila und haben meine
Jugend koloriert. Ich fände die Neubildung Kaluckauer recht glücklich.
    Luckau hat keine großen Söhne,
nur Zugereiste, was durch die Strafanstalt bedingt ist. Liebknecht hat hier
Briefe geschrieben, es hat nichts genützt.
    Wie gesagt, Kalauer sind keine
Steigerung von Calau. Aber mir sind sie recht. Eine Möglichkeit, die Welt zu
begreifen, vielleicht die einzige, anspruchslos und lila.
    aus
Günter Eich: Maulwürfe, Frankfurt 1968
     
    Kalauer: ...eine an Calembour
(s.d.) anklingende Bezeichnung für witzige Wortspiele, vor allem solche, die
nicht allzuviel Witz erfordern.
    Meyers
großes Konversationslexikon, Zehnter Band 1905
     
    Kalauer: frz. calembour[g]
>Wortwitz<, nach 1800 in Berlin auf die Stadt Kalau bezogen, der, ein Wortspiel mit albernen Anklängen, Witzelei.
    Brockhaus
Enzyklopädie, Neunter Band 1970
     
    Kalauer m. Im 18. Jh. erscheint
frz. calembour >Wortspiel<, dessen Ursprung nicht hinreichend
erklärt ist. Als Fremdwort im Deutschen ist Calembour(g) nachgewiesen
von 1787 bis 1845 (H. Schulz 1913 Fremdwb. 1, 318). Zuerst 1858 erscheint in
Berlin dafür Kalauer (Ladendorf 1906 Schlagwb. 156) mit Anlehnung an den Namen
der niederlausitz. Stadt Kalau und nach dem Vorbild des Scherzworts Meidinger
für >alter Witz<, dies nach Joh. Val. Meidinger 1783 Frz. Grammatik mit
einer Sammlung >Auserlesener Histörchen<; Büchmann 1912 Gefl Worte 505.
    Friedr. Kluge, Etymologisches
Wörterbuch der Deutschen Sprache, 17. Auflage, Berlin 1937

SUBJEKT-OBJEKT
     
    In weitem Umfange hat man sich
bei der logisch unrichtigen Wortverknüpfung in den Ausdrücken mit vertauschtem
Subjekt oder Objekt aufgehalten und die Erscheinung solchen Faktoren wie
»Denkträgheit«, »Mangel an Gedankenschärfe« und »unklaren Vorstellungen«
zugeschrieben.
    Stöcklein, der sich mit
Vertauschungen und ähnlichen Erscheinungen in seiner inhaltreichen kleinen
Schrift Bedeutungswandel der Wörter befaßt, scheint vor allem an eine
unzulängliche Analyse der Realitäten zu denken. S. 70 heißt es: » Nahe berührt
sich mit dem Zug der Bequemlichkeit oder dem Gesetz der Trägheit der Mangel an
strenger logischer Scheidung: in der Sprache werden Erscheinungen, die unter
sich verschieden sind, doch auf dieselbe Weise bezeichnet, weil die Vorstellung
hievon die gleiche ist. Der Sprechende kann selbst merken, daß die Vorstellung
eine unklare und der Ausdruck nicht treffend ist; aber es kommt ihm vor allem
darauf an, etwas zum Ausdruck zu bringen, so daß eine bestimmte Vorstellung
beim Hörenden geweckt wird. Der Ausdruck mag unrichtig sein, wenn er nur
verstanden wird, zunächst nur in dem betreffenden Zusammenhang.« Stöcklein hat
hier nicht etwa eine Bedeutungsübertragung im Auge. Zu den vom Standpunkt der
Logik aus als falsch zu bezeichnenden Ausdrücken: » der Krug läuft aus, rinnt analog der Verbindung: das Wasser läuft, rinnt aus dem
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