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Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge

Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge

Titel: Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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von vorgestern.
    Mein Haus wird bald trocken
sein. Die Mauern werden nicht mehr sprachlos stehen, sondern werden ihre
Sprache finden, mittelhochdeutsch, das versteht zwar kaum einer, aber die
meisten haben mit Neuhochdeutsch ebensolche Schwierigkeiten. Die Fahnen habe
ich noch nicht recht zum Klirren gebracht, damit warte ich bis zum
Nationalfeiertag. Den Wänden wachsen bereits die Ohren, sonst sind sie noch
leer. Den Teufel werde ich aus guten Gründen nicht an sie malen, überdies würde
man diesen Anblick leid. Schön wäre ein Konterfei meines Problems, aber es hält
nun einmal nicht still, sondern es sucht immer nach der Stelle, wo ich
sterblich bin. Vergebens versuche ich ihm zu erklären, daß an mir, wie an
allen, praktisch alles sterblich ist, außer vielleicht der Seele, aber gerade
die sucht es zu vermeiden, auch das natürlich vergebens.
    Aber wie auch immer, die
Wohnlichkeit nimmt zu, bald werde ich alle Tassen im Schrank, Wäsche im
Wäscheschrank, Bauern im Bauernschrank haben. Von Kindesbeinen aufwärts war ich
nämlich stets ein großer Freund der Schränke, deren ideeller Stellenwert — denn
auch dieser ist in hohem Grade relevant — gewöhnlich verkannt wird. Vergeblich
warte ich auf das Jahr des Schrankes. In jedem Zimmer wird ein Fettnäpfchen
stehen, entworfen von Beuys, eine lange Bank zieht sich durchs Parterre, und
die Zwischenräume zwischen den Stühlen lasse ich von Walter de Maria gestalten,
er hat schon begonnen, eifrig zu gestalten. Zwar steht noch manches Wort im
Raum, aber das wird sich, da es unerwidert bleibt, in jenen Nebel auflösen, aus
dem es höchstwahrscheinlich kommt. Und was aussieht wie eine Müllhalde, wird in
saftigem Grün von Spitzwegerich, Sauerampfer und üppigem Unkraut erstrahlen,
vor allem von Schierling. Becher hängen am Ziehbrunnen, dort werden auch die zerbrochenen
Krüge liegen.
    Ein guter Tropfen ist Dir also
sicher. Ich trinke ihn aus gehöhltem Stein, in dem er allerdings manchmal
versickert, so daß ich mit der Pipette nicht nachkomme. Dann greife ich zur
Flasche. Der Wein hier ist weder süffig noch lieblich, noch abgerundet, noch
vollmundig, sondern trinkbar. Bitte erwarte aber keine Sektgelage. Denn der
Sekt, den ich hier habe, taugt nur zum Schiffetaufen, und ich verwende
ihn auch ausschließlich dazu.
    Ich werde Dich gut bewirten,
dafür sorgen die Küchenväter. Ich habe einfachheitshalber die Küche beim Dorf
gelassen, denn sie ist, wie auch Du wohl gehört hast, alleinseligmachend, und
ich wollte nicht, daß meine Mitmenschen hier dieser Instanz verlustig gehen,
vor allem nicht jene unter ihnen, die lieber geben als nehmen, von denen es
hier wohl nicht allzu viele gibt.
     
     
    den Wänden wachsen bereits die
Ohren, sonst sind sie noch leer.... und die Zwischenräume zwischen den Stühlen
lasse ich von Walter de Maria gestalten, er hat schon begonnen, eifrig zu
gestalten.

     
     
    A propos Küchenväter: wie Du
wahrscheinlich weißt, verderben viele Köche den Brei. Wie viele es sind,
ist bisher statistisch noch nicht erfaßt, es werden soeben erst, also reichlich
spät, von seiten der Weltgastronomie — auch >Internationale Küche< genannt,
unter der Du Dir wahrscheinlich genau so viel vorstellen kannst wie ich — von
seiten der Weltgastronomie also Schritte zu einer genauen Zählung unternommen.
Mich beunruhigt aber, daß es nicht alle Köche sind, die am Verderben des
Breis mitarbeiten oder durch Boykott aller Ingredienzenhersteller die Basis der
Breibereitung untergraben. Denn ich finde, einem rechten Koch die Zubereitung
dieser höchst ungesunden Kinderspeise zuzumuten — ich glaube, sie soll im
nächsten Jahr auf die Liste der krebsfördernden Nahrungsmittel gesetzt werden,
wenn diese Liste nicht schon zu voll ist — wäre, wie wenn ich einem
Schiffskapitän zumuten würde, mich über den Gartenteich zu rudern. Brei ist
Sache entweder der Amme, die beim Rühren ihr kleines Opfer durch ein hinterhältiges
Schlummerlied völlig verängstigt, oder der Gouvernante, die für den Fall von
Nichtverzehr mit dem Kinderverzehrer droht, der bereits hinter der Kellertür
stehe, oder der Nanny, die nichts verschüttet wissen will, anderenfalls sie
sich gezwungen sähe, den schwarzen Mann zu verständigen, und anderer
entschwundener Gestalten unserer goldenen Kindheit. Daher erscheint mir der
Wille vieler Köche zur Breiverderbnis als eine nur allzu verständliche
Trotzreaktion, ja, ich möchte sagen, als notwendiges Verhalten, und ich sage
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