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Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation

Titel: Miteinander reden 01 - Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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Hintergrundwissen wir Änderungen vorschlagen. Vieles von diesem Handwerkszeug gehört in die Hand von jedermann, und einige Lehrer haben angefangen, etwas davon an ihre Schüler weiterzugeben. Mir liegt sehr daran, Psychologie aus der Hand zu geben, anstatt sie (wie Ruth Cohn das nennt) «im Geheimkabinett einzuschließen». Ich bin mir der Gefahr bewusst, dass Psychologie zuweilen «in die falschen Hände» gerät, in den Dienst der Manipulation und inhumaner Tendenzen gestellt wird – und sich stellen lässt. Ich sehe auch die Gefahr, dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit zwischenmenschlichen Vorgängen zu einer Verwissenschaftlichung der Mitmenschlichkeit führen kann und zu neuen Imponiersprachen der Eingeweihten. Einen Vorgeschmack auf solche möglichen Fehlentwicklungen gibt die Satire auf S.298. Genauso bin ich aber überzeugt, dass die Chancen überwiegen, dass das Erlernen von Klarheit und besserer Verständigung der Persönlichkeitsbildung und der mitmenschlichen Beziehung dient.
    Noch ein Wort zur Reichweite der nachfolgenden Kapitel. Wer zwischenmenschliche Kommunikation verbessern will, kann an drei verschiedenen Stellen ansetzen:

    1. Ansatz am Individuum. Das heißt: Ich fange bei mir selber an bzw. berate und trainiere einzelne Menschen. Hier besteht einerseits die Chance, unterentwickelte Persönlichkeitsbereiche zu vervollkommnen und den einzelnen mehr und mehr zu befähigen, Herr und Meister seiner selbst zu werden (Anliegen der Humanistischen Psychologie), andererseits die Gefahr, die Ursachen gestörter Kommunikation nur beim Individuum zu suchen. So werden zuweilen Schüler als «gestört» dem Psychologen überwiesen und erhalten dadurch – neben der Hilfe – auch den Prägestempel der Pathologie (vgl. Kap. B III, 5, S. 222). Unbeachtet bleibt dabei, dass der störende Schüler vielleicht nur das auffälligste Symptom einer gestörten Beziehung zwischen Lehrer und Schüler oder der Schüler untereinander ist. Diese Blickfelderweiterung führt zum

    2. Ansatz an der Art des Miteinanders. Der «Patient» ist hier nicht ein einzelnes «schwarzes Schaf», sondern der Umgangsstil einer ganzen Gruppe (vgl. «Patient Familie», Richter 1970). Das hier charakteristische «Denken in Systemen» ist grundlegend für Paar- und Familientherapie (Bandler u.a. 1978) und für die moderne Schulberatung (Brunner u.a. 1978; Redlich und Schley 1979).
    Auch bei dieser Kommunikationstherapie ist im Blick zu behalten, dass bestimmte Umgangsformen möglicherweise gar nicht so sehr der (prinzipiell) freien Gestaltung der Kommunikationspartner unterliegen, sondern sozusagen «von oben» vorprogrammiert sind. Diese abermalige Blickfelderweiterung führt zum

    3. Ansatz an den institutionellen/gesellschaftlichen Bedingungen. Veränderungswürdig erscheinen hier weder der Einzelne noch die Interaktion zwischen mehreren, sondern die Zustände, unter denen die Menschen zusammenkommen und die ihnen bestimmte Umgangsformen aufzwingen oder zumindest nahelegen. So mag eine hierarchisch gegliederte Arbeitswelt, die einigen wenigen den Aufstieg ermöglicht, die aber gleichzeitig auf Kooperation angewiesen ist, eine Kommunikation mit «doppeltem Boden» nahelegen: vorgeblich kooperativ, aber heimlich rivalitätsorientiert (vgl. Schulz von Thun 1978).
    Auch für die Institution Schule lässt sich zeigen, dass sie «heimliche Lehrpläne» vorsieht, die die Lehrer-Schüler-Beziehung und die Beziehung der Schüler untereinander von vornherein belastet und «gestörte Kommunikation» vorprogrammiert (vgl. Tillmann 1976; Brunner u.a. 1978). – Von diesem Standpunkt aus lässt sich begründet argumentieren, dass die oben erwähnten Heilmittel (psychologische Schülerhilfe, Kommunikationstrainings für Lehrer, Interaktionstherapie für Lehrer-Schüler-Beziehungen) zu kurz greifen und das wahre Übel nicht bei der Wurzel packen. Notwendig wären stattdessen institutionelle Reformmaßnahmen oder – wenn sich herausstellt, dass die Institution der zwangsläufigen Logik des Gesellschaftssystems entspricht – grundlegende gesellschaftspolitische Umorientierungen, die auf politischer Ebene zu erstreiten sind.
    Für einige meiner Studenten ist das Buch bereits an dieser Stelle «gestorben», wenn ich erkläre, dass es vor allem für die Ansätze 1 und 2 Rüstzeug bietet. Sie sehen darin eine (für die bürgerliche Psychologie typische) «Psychologisierung» der Probleme, die an Symptomen kuriert, den Blick für die
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