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Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)

Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)

Titel: Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)
Autoren: Sharon Draper
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haben werden – auch wenn Sie überall diese hochtrabenden Abschlüsse von hochtrabenden Schulen an Ihren Wänden hängen haben!«
    Nun war der Arzt an der Reihe zu blinzeln.
    »Sie haben es leicht – all Ihre Körperfunktionen sind intakt. Sie müssen sich nie abmühen, um überhaupt verstanden zu werden. Sie halten sich für schlau, weil Sie einen Doktortitel haben?«
    Er war klug genug, seinen Mund zu halten, und beschämt genug, seinen Kopf zu senken.
    Mom war in Fahrt. »Sie sind nicht besonders intelligent, mein Herr – Sie haben einfach nur Glück! Jeder von uns, der im Vollbesitz seiner Fähigkeiten ist, kann sich schlichtweg glücklich schätzen. Melody ist in der Lage, Dinge zu verstehen, zu kommunizieren und sich in einer Welt zurechtzufinden, in der
nichts
so für sie läuft, wie es sein sollte. Sie ist diejenige mit der wahren Intelligenz!«
    Damit marschierte sie aus seinem Büro und lenkte meinen Rollstuhl geschickt durch die schweren Türen. Im Gang ließen wir kurz unsere Fäuste aneinanderstoßen – na ja, so gut ich das eben konnte. Meine Hände waren nicht länger kalt.
    »Ich bringe dich jetzt gleich zur Spaulding Street Elementary School und melde dich dort an«, verkündete sie entschlossen, als wir zurück zum Auto gingen. »Zeigen wir es ihnen!«

Kapitel 5
    Ich bin seit fünf Jahren an der Spaulding Street Elementary School. Sie ist gewöhnlicher Durchschnitt – voller Kinder, genau wie die Schulen, die ich in Fernsehserien sehe.
    Kinder, die sich gegenseitig auf dem Pausenhof jagen und den Gang entlangrennen, um kurz vor dem Klingeln an ihren Platz zu kommen.
    Kinder, die im Winter über Eisplatten rutschen und im Frühling durch Pfützen stampfen.
    Kinder, die schreien und schubsen.
    Kinder, die ihre Bleistifte anspitzen, an die Tafel gehen, um Matheaufgaben zu lösen, und ihre Bücher aufschlagen, um ein Gedicht zu lesen.
    Kinder, die ihre Antworten auf Blätter in Collegeblöcken schreiben und ihre Hausaufgaben in ihre Rucksäcke stopfen.
    Kinder, die sich in der Schulkantine mit Essen bewerfen, während sie an ihren Trinkpacks nuckeln.
    Kinder, die im Chor singen, Geige lernen und nach der Schule zum Turn- oder Ballett- oder Schwimmunterricht gehen.
    Kinder, die Basketballkörbe in der Turnhalle werfen. Ihre Unterhaltungen füllen die Gänge, während sie Pläne schmieden, Witze reißen, Freundschaften schließen.
    Kinder, die Kinder wie mich meistens ignorieren.
    Der »behindertengerechte« Bus, wie sie es nennen, hat einen coolen Rollstuhllift in die Tür eingebaut, und er holt mich jeden Morgen vor unserer Haustür ab. Wenn wir an der Schule eintreffen, lassen sich die Fahrer Zeit, um zu prüfen, ob alle Gurte und Verschlüsse richtig angelegt und geschlossen sind, bevor sie uns alle, einen nach dem anderen, mit Gehhilfen oder in Rollstühlen oder auf Krücken oder mit Helmen mit dem Buslift zu Boden lassen. Eine Hilfskraft schiebt uns dann hinüber zu einem Wartebereich oder hilft uns, dort hinzulaufen.
    Wenn das Wetter schön und sonnig ist, sitzen wir draußen vor der Schule. Ich sehe gerne zu, wie die »normalen« Kinder Völkerball spielen und darauf warten, dass die Schulglocke klingelt. Sie scheinen solch einen Spaß zu haben. Sie fragen untereinander, ob jemand mitspielen will, aber noch nie hat uns jemand gefragt. Wir könnten zwar sowieso nicht mitmachen, aber es wäre nett, wenn wenigstens mal einer »Hallo« sagen würde. Wahrscheinlich halten uns die Völkerballspieler für so unterentwickelt, dass sie glauben, es macht uns nichts aus, wenn man uns behandelt, als wären wir unsichtbar.
    Am Anfang, als Mom mich hier angemeldet hatte, war ich so aufgeregt gewesen. Ich dachte, ich würde jeden Tag etwas Neues lernen, aber im Großen und Ganzen war es nichts weiter als eine Beschäftigung, die mir dabei half, die Zeit totzuschlagen und durch die ich mal aus dem Haus kam. In der zweiten und dritten Klasse habe ich wahrscheinlich mehr von Technik- und Natursendungen im Fernsehen gelernt als je in der Schule. Meine Lehrer waren meistens nett, aber sie hätten Röntgenblicke wie Superman gebraucht, um in meinen Kopf sehen zu können.
    Ich bin in einem speziellen Programm mit anderen Kindern, die ebenfalls sogenannte »Beeinträchtigungen« haben. Wir sind zwischen neun und elf Jahren alt. Unsere »Lerngemeinschaft« – was für ein Witz – ist beisammen, seit ich zur Schule gehe. Es hat den Anschein, als würden wir nie versetzt werden oder weiterkommen wie
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